Bruderdienst: Roman (German Edition)
ich in Südkorea bleiben will. Man hört ziemlich widerliche Sachen von dort. Zum Beispiel, dass da unser Geheimdienst arbeitet. Und man hört, dass er Menschen aus meinem Staat verschwinden lässt oder tötet. Ist das die Wahrheit?«
»Ich weiß es nicht«, erwiderte Müller.
Aber Kim blieb hartnäckig bei den Gerüchten. »Sie sagen, dass unser Geheimdienst in Südkorea sehr mächtig ist und dass er alle bestraft, die unser Land verlassen haben.«
»Vielleicht werden diese Gerüchte gestreut, um euch Angst zu machen?«
»Aber unser Geheimdienst ist mächtig«, beharrte Kim.
»Hattest du schon Erfahrungen mit dem Geheimdienst?«
»Hier und da«, erklärte er vorsichtig. »Ist unser Geheimdienst in euren Ländern mächtig?«
»Nein, überhaupt nicht. Jedenfalls habe ich das noch nie gehört. Ich habe nur gehört, dass in deinem Land ein Klima der Angst erzeugt wird. Dass man nicht einmal dem Nachbarn traut, dass behauptet wird, alles käme durch den Geheimdienst ans Tageslicht.«
»Und in deinem Land sagt man so etwas nicht?«
»Nein, das kommt nicht vor.«
»Ich hatte mal eine Tochter, die behauptete, unser Geheimdienst sei bösartig und zerstörend. Ich habe nie erfahren, was genau sie damit meinte.«
»Lebt sie nicht mehr?«
»Doch, doch.« Kim wandte sich von ihm ab.
Sieh mal an, dachte Müller belustigt. Du hast keine Familie, aber du hast eine Tochter, die noch lebt.
Dann nahm er sein Handy, um Nachricht zu geben, dass er mit seinem Begleiter das Meer verlassen hatte. Das war Vorschrift. Er wartete nicht ab, dass sich jemand in Berlin meldete, das war ohnehin nicht vorgesehen. Nachdem ein extrem hoher Piepton in der Leitung verklungen war, sagte er: »Okay für 1313. Ich habe Seoul erreicht.« Zweimal die Dreizehn hatten sie ihm für diese Operation mitgegeben. Egal, wer von den Verantwortlichen im Haus war, er würde in zehn Sekunden wissen, dass alles gut lief.
Er richtete sich auf und blickte über das Hafenbecken.
Die Straßenbeleuchtung war schon eingeschaltet, es war 21.16 Uhr. Hoch oben schwamm der Mond, eine schmale, blässliche Sichel. Die Boote schienen alle in den Heimathafen zurückgekehrt zu sein, sie lagen geduckt im Dunkel unter der Steinkante des Hafenbeckens. Menschen sah er nicht.
»Hast du gewusst, an welchen Fischer du dich wenden musst, um auf der Insel abgesetzt zu werden?«
»Nein.« Kim schüttelte den Kopf. »Ich wusste, ich muss in die Hafenstadt Haeju und dann in eines der Dörfer, in denen die Fischer wohnen. Ich traf einen sehr alten Mann. Er war Fischer und sprach mit mir. Und ich habe gefragt, ob er mich mitnimmt, wenn er rausfährt. Er hat nur gesagt: Komm einfach mit. Ich habe ihm Geld gegeben, aber das ist ja nichts wert. Es war sehr beschämend für mich. Dann habe ich ihm meine Uhr gegeben, eine russische. Da hat er sich tief verbeugt. Er hat gewusst, dass ich weggehe.«
»Aber du hattest keine Genehmigung, in diese Hafenstadt zu gehen, oder?«
»Doch, doch, die hatte ich schon.« Er lächelte verschmitzt. »Ich selbst habe sie ausgestellt. Ich darf so was, seit ich für die Lkw verantwortlich bin.« Dann musste er lachen. »Ich habe schließlich gute Beziehungen!«
Sie lachten zusammen, und das war ein gutes Gefühl.
»Ich würde dich gern mitnehmen nach Berlin«, sagte Müller. »Dann kannst du meine Welt sehen.«
»Vielleicht«, antwortete Kim. »Ich weiß es noch nicht. Verstehst du das?«
»Natürlich«, nickte Müller. »Aber schau dir dieses Land an. Du hast nie größere Wunder gesehen.«
Kim sah ihn aufmerksam an, und wahrscheinlich hatte er für Sekunden geglaubt, das sei ein Scherz, aber nach einem Blick in Müllers ruhige, freundliche Augen wusste er, dass es absolut ernst gemeint war.
Zwanzig Minuten später kam der Skipper zurück, in jeder Hand eine große Plastiktüte. Seiner Ausdünstung nach zu schließen, hatte er noch schnell ein paar Bier gekippt, nachdem er die Einkäufe erledigt hatte.
»Du wirst wie ein völlig neuer Mensch aussehen!«, versprach er Kim. »Zieh dich um, und dann gehen wir einen saufen.«
»Das werden wir nicht«, widersprach Müller in ruhigem Ton. »Wir haben keine Zeit, wir müssen uns beeilen.«
Sie ließen Kim im Steuerhaus zurück und setzten sich auf die Bordwand.
»Ich wünsche mir noch viele Kunden von deiner Sorte«, sagte der Skipper. »Nicht viel Gerede, saubere Tour, glatter Abgang, schnelle Dollar.«
»Wie lange betreibst du dieses Geschäft schon?«
»So zehn, fünfzehn Jahre.«
»Und
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