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Bruderkampf

Bruderkampf

Titel: Bruderkampf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kent
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äußeren Stille war die Brise kräftig genug, so daß sich unter der vergoldeten Galionsfigur eine kleine Bugwelle bildete. Und am Flaggenkopf des Großmasts flatterte der Wimpel, als verbrauche er allen Wind für sich allein.
    Leutnant Herrick ging über das Hauptdeck langsam nach achtern. Seine Augen wanderten von der einen Schiffsseite zur anderen und beobachteten die Männer, die an den Brassen und Tauen zerrten, bis die Leinwand endlich steif stand. Er wußte, daß sie über das verunreinigte Wasser und anderes sprachen, aber selbst die sonst freundlich gesinnten Leute verstummten, wenn er an ihnen vorüberkam. Zwei Wochen Hitze und dumpfe Unbehaglichkeit nagten jetzt an ihren Nerven. Niemand klagte oder murrte. Das war das Schlimmste dabei. Er blieb stehen, denn Fähnrich Maynard tauchte plötzlich unterhalb des Achterdecks auf und stützte sich schwer auf einen Zwölfpfünder.
    Unter der Bräune war er so bleich wie der Tod, und seine Beine zitterten, als wäre er nahe am Zusammenbrechen.
    Herrick trat an ihn heran. »Was ist los? Sind Sie krank?«
    Maynard sah ihn mit vor Angst fast glasigen Augen an. Erst konnte er kaum sprechen, dann strömten ihm die Worte wie eine Flut über die trockenen Lippen.
    »Ich komme gerade von unten, Sir, sollte Mr. Evans vom Orlopdeck heraufholen.« Er schluckte schwer und versuchte, zusammenhängend zu sprechen. »Ich habe ihn in seiner Kajüte gefunden, Sir.« Er würgte und taumelte.
    Herrick packte ihn beim Arm und flüsterte wild: »Weiter, Junge. Was ist los, zum Teufel?«
    »Gott!« würgte Maynard hervor. »Mein Gott, Sir! Man hat ihn zerfleischt.« Erleichtert gab er den Alptraum seiner Entdeckung weiter, und indem er Herrick anstierte, wiederholte er schwach: »Zerfleischt!«
    »Sprechen Sie leise!« Herrick rang nach Fassung. Dann rief er in ruhigerem Ton: »Mr. Quintal! Bringen Sie Mr. Maynard nach achtern, und geben Sie acht, daß er nicht allein bleibt.«
    Der Bootsmann, der gerade einem Matrosen einen Verweis erteilen wollte, blickte von einem zum anderen. Er hob die Hand und sagte verdrossen: »Aye, aye, Sir.« Dann fragte er: »Ist etwas, Sir?«
    Herrick sah Quintal in das breite, zuverlässige Gesicht und antwortete tonlos: »Sieht so aus, als ob der Zahlmeister tot ist, Mr. Quintal.« In den Augen des anderen zuckte Schrecken auf, und Herrick setzte hinzu: »Lassen Sie sich nichts anmerken.
    Das Schiff gleicht schon so einem Pulverfaß.« Er beobachtete, wie der Bootsmann den jungen Fähnrich in den Schatten des Achterdecks brachte, und blickte sich dann schnell um. Alles sah genauso aus wie vor zwei Minuten. Leutnant Okes hatte die Wache. Er stand an der Querreling und sah zu den Marssegeln hinauf. Weiter achtern sprach der Kapitän mit Vibart und Rennie, und die beiden Rudergänger standen am Rad, als wären sie seit Anbeginn der Zeiten auf ihrem Posten.
    Herrick schritt langsam zur unteren Luke. Er zwang sich, ganz ruhig zu gehen, aber das Herz schlug ihm bis zum Hals.
    Da alle Leute beim Segeltrimmen waren, wirkte das Unterdeck leer und merkwürdig fremd. Ein paar Laternen schaukelten an ihren Haken, und als er die zweite und letzte Leiter hinabstieg, spürte er eine Atmosphäre von Drohung und Gefahr. Doch auch sie bereitete ihn nicht auf den Anblick in der winzigen Kajüte des Zahlmeisters vor.
    Tief im Rumpf des Schiffes machte sich die Stille noch lastender bemerkbar, und die einsame Laterne warf von den niedrigen Decksbalken ihren begrenzten Lichtkreis auf eine Szene, bei deren Anblick sich Herricks Haare sträubten.
    Offenbar hatte Zahlmeister Evans gerade einen Sack Mehl für seinen Privatbedarf aussondern wollen, als der Mörder zustach.
    Evans lag mit weit von sich gestreckten Beinen über dem aufrecht-stehenden Sack. Das Licht der Laterne fiel auf die hellen Augen und den dunklen Blutstrom, der aus der durchschnittenen Kehle sickerte und in dem verstreuten Mehl gerann. Auch sonst war überall Blut, und als Herrick auf die Leiche starrte, sah er, daß der Körper bestialisch zugerichtet worden war. Er lehnte sich an die Tür und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. Die Handfläche war kalt und feucht, und er dachte an den Schreck, den der furchtbare Anblick Maynard eingejagt haben mußte. Niemand hätte ihn tadeln können, wenn er schreiend auf das Oberdeck gestürzt wäre.
    »Mein Gott!« Herricks Stimme hallte in der Dämmerung wider. Er hätte beinahe aufgeschrien, als er hinter sich die Leiter knacken hörte, und griff nach der Pistole.

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