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Brudermord

Titel: Brudermord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Rusch
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»Angeblich ist seine Anwesenheit dort unbedingt erforderlich«, sagte sie und verzog verächtlich den Mund.
    Clara staunte noch mehr. Heiko hatte in der Gunst ihrer Eltern immer ganz oben gestanden. Noch nie hatte sie ein schlechtes Wort über den Schwiegersohn gehört.
    »Angeblich?«, wiederholte sie, neugierig geworden.
    Thea Niklas nahm einen tiefen Zug und blies ihn durch die Nase aus. »Aber das ist alles Unsinn. Gesine hat es mir und Vater erzählt: Er hat eine Geliebte.«
    »Ach!« Clara riss die Augen auf. »Und was sagt Gesa dazu? Hat sie ihn rausgeschmissen?«
    Sie dachte an ihre makellose Schwester, und ihr wurde plötzlich klar, dass ihr weltgewandtes Auftreten, ihre Arroganz, ja ihr ganzes perfektes Leben nichts anderes als Fassade war. Dünn und brüchig und bereits am Zusammenbrechen. Mitleid überkam sie, gewürzt mit einer kleinen Prise ganz und gar unanständiger Schadenfreude.
    Ihre Mutter machte eine resignierte Handbewegung: »Du kennst sie doch. So etwas würde sie nie tun. Augen zu und durch. Aber als Vater davon erfahren hat, hat er damit gedroht, ihn eigenhändig in den Starnberger See zu werfen, falls er sich hier noch einmal blicken lässt.«
    Clara lächelte. Ob ihr Exmann Ian wohl auch im See gelandet wäre, wenn ihn ihr Vater damals in die Finger bekommen hätte, als die schreckliche Geschichte mit ihrem Sohn passiert war?
    Aus Unachtsamkeit und Nachlässigkeit ihres angetrunkenen Ehemanns war Sean, damals vierjährig, um ein Haar ertrunken, was letztendlich dazu geführt hatte, dass Clara ihren Mann und Irland verlassen hatte.
    Clara hatte in dieser Zeit immer eher das Gefühl gehabt, sie wäre diejenige gewesen, die nach Ansicht ihres Vaters eine kalte Dusche nötig gehabt hätte. Aber wenn es wirklich hart auf hart kam … Sie wollte es einfach glauben. Sie wollte sich einfach nicht mehr mit der Vorstellung herumquälen, dass Gesine immer Vaters Liebling gewesen war und er ihr immer beigestanden hatte, wo es bei Clara Kritik und Vorwürfe gehagelt hatte. Nicht dass Gesa viel angestellt hätte. Im Gegensatz zu Clara war sie eine Mustertochter gewesen.
    Sie verzog das Gesicht. »Arme Gesa«, sagte sie und meinte es ehrlich. Was für Anstrengungen würde es ihre Schwester kosten, den Schein aufrechtzuerhalten.
    »Heiko war immer schon ein Mistkerl«, fügte sie noch hinzu und trank einen großen Schluck Rotwein.
    Ihre Mutter hatte den Wein ausgesucht, und er war schwer und stark, und Clara hatte das Gefühl, schon von dem intensiven Aroma, das ihr in die Nase stieg, leicht benommen zu werden. Sie drehte das bauchige Glas in ihrer Hand und genoss die schläfrige Leichtigkeit, die sich in ihrem Kopf ausbreitete. Dabei bekam sie gar nicht mit, dass ihre Mutter etwas gefragt hatte. »Wie?«
    »Ich sagte, wie geht es denn mit deinem neuen Freund? Wie hieß er noch mal? Nicki?«
    Clara verschloss sich augenblicklich. Brüsk stellte sie das Glas ab. »Er heißt Michael«, sagte sie zugeknöpft.
    Ihre Mutter ließ sich von ihrer abweisenden Art nicht beeindrucken. »Sehen wir ihn zum Fest, deinen Michael?«
    Clara starrte sie an. Nicht im Traum hatte sie daran gedacht, Mick zum Geburtstagsfest ihres Vater mitzunehmen. Ihr wurde heiß beim bloßen Gedanken daran.
    »Nein«, sagte sie und presste die Lippen aufeinander.
    »Warum denn nicht?«
    Warum mussten Mütter immer nachbohren? Warum waren sie nur so unempfindlich und merkten nicht, wann es genug war?
    »Weil … ich glaube, dass das keine gute Idee ist«, antwortete Clara lahm und überlegte, was sie bei dieser Vorstellung mehr in Angst und Schrecken versetzte: der abschätzige Blick ihres Vaters oder Mutters direkte Art, die Leute auszufragen, der gutmütige Spott ihres Bruders Georg oder aber Gesas scharfe Zunge, obwohl, Gesa sollte lieber den Mund halten …
    »Wir kennen uns noch gar nicht lange und überhaupt«, sie zuckte mit den Schultern. »Ich glaube, ich muss los, sonst verpasse ich meine S-Bahn.«
    »Dann nimm doch die nächste«, schlug ihre Mutter ungerührt vor. »Er ist jünger als du, sagte Gesa? Was macht er denn so? Sieht er gut aus?«
    »Mama!« Clara presste ihre Kiefer aufeinander.
    Zu ihrer Überraschung lachte ihre Mutter plötzlich laut auf. »Schämst du dich für ihn?«
    »Nein!« Clara wurde rot vor Zorn. »Wie kommst du denn darauf?« Sie kramte nach ihrer Geldbörse. »Warum musst du nur immer die Therapeutin rauskehren? Das kotzt mich so an!«
    Ihre Mutter schwieg einen Augenblick, dann sagte sie: »Tut mir

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