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Brudermord

Titel: Brudermord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Rusch
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Krankenpflegerin?«
    Esther Pronizus nickte.
    »Meinen Sie, ich könnte einmal mit ihr sprechen?«
    »Natürlich.«
    Clara holte ihren Block aus der Tasche. »Wissen Sie ihren Nachnamen oder für welchen Pflegedienst sie arbeitet?«
    Die alte Dame lächelte. »Selbstverständlich. Aber verrate mir doch zuerst, weshalb du das alles wissen willst?«
    Clara murmelte etwas von einer Mandantin, die einen ähnlichen Verdacht geäußert habe, und sie müsse dem nachgehen, auch wenn nichts dran wäre, und hielt dann erwartungsvoll mit gezücktem Bleistift inne.
    Esther Pronizius nickte nachdenklich, dann wandte sie den Kopf. »Eva!«, rief sie mit gewohnt lauter Stimme, und prompt begann das Kläffen erneut.
    Elise durchlief ein Zittern.
    Als die junge Frau hereinkam, stellte Frau Pronizius sie Clara vor: »Das ist Eva Seitz, meine und Frau Thieles rechte und linke Hand.«
    Die Frau errötete unter dem ungewohnten Lob ein wenig. »Soll i Ihnen was bringen, vielleicht einen Tee?«
    Frau Pronizius schüttelte den Kopf. »Setzen Sie sich zu uns, Eva. Frau Niklas möchte Sie etwas fragen.«
    Clara setzte erneut zu ihren Erklärungen an und bemerkte, wie Eva eifrig mit dem Kopf nickte.
    »Ja. Des stimmt genau. Des hab i gesagt. Da könnt ma so a alte Frau um die Ecke bringen, und keiner tats merken.«
    »Aber sie ist doch an einem Schlaganfall gestorben«, gab Clara erneut zu bedenken.
    »Ja, des haben mir die Ärzte ja auch immer wieder gesagt. Sie kam ja auch noch ins Krankenhaus, da hätten sie schon gmerkt, wenn was nicht gstimmt hätt. Des hatte schon alles seine Richtigkeit.«
    Sie nickte noch einmal zur Bekräftigung. »Ich war a bissl aufgregt an dem Tag, ich hab die Frau Thiele gern mögen, wissen’s, man gwöhnt sich halt aneinander.«
    »Aber wie sind Sie denn darauf gekommen, dass da etwas nicht stimmen könnte?«, fragte Clara noch einmal. Langsam wurde sie ungeduldig. Dieser ganze Ausflug entpuppte sich als einzige große Zeitverschwendung.
    Die junge Frau zuckte mit den Schultern. »Ach mei, es war halt a bissl komisch, als ich an dem Morgen gekommen bin. Die Lampe war kaputt, ihre Nachttischlampe, und die Frau Thiele war so aufgregt, gschwitzt hat sie und so merkwürdig geredet. Die Ärzte haben aber gemeint, des wär normal, denn da hat sie der Schlag ja schon getroffen.«
    »Der Schlag?« Clara runzelte die Stirn.
    »Der Schlaganfall halt. An dem sie gstorbn ist.«
    »Was hat sie denn gesagt?«, fragte Clara ohne große Hoffnung.
    Eva Seitz schüttelte den Kopf. »Ich habs ned richtig verstanden, sie hat nur gflüstert, immer des Gleiche, ganz leise, was mit Einmaleins, glaub ich. Sie konnt ja nimmer richtig reden, wegen dem Schlag.«
    Eva Seitz hielt inne und überlegte einen Augenblick. Dann sagte sie zögernd, als fürchtete sie, ausgelacht zu werden: »Also wenn ich nicht genau wüsst, dass die Frau Thiele nix für Gedichte übrig gehabt hat, nicht einmal ›Die Glocke‹ wollt’s hören, die von Schiller, wissen S’, ich hab mal versucht, sie ihr vorzulesen, so als Abwechslung, also, wenn ich es nicht besser wüsst, würd ich sagen, es war a Gedicht gwesn.«
    Sie sah Clara ratlos an.
    »Jetzt stellen Sie sich doch des mal vor: Da trifft jemanden der Schlag, und was macht er? Er sagt a Gedicht auf. Wenn das nicht komisch ist?«
     
    Clara aß mit ihrer Mutter zu Abend. Der Tag war nicht wirklich erfolgreich gewesen. Ein kurzer, kühler Anruf bei Linda in der Kanzlei hatte ergeben, dass sich Gruber noch nicht gemeldet hatte, und die tote Agnes Thiele führte in eine weitere Sackgasse. Ihre Mutter hatte ihr bestätigt, was sie sich ohnehin gedacht hatte: Viele Menschen hatten kurz vor ihrem Tod irgendetwas zu sagen, was für sie wichtig gewesen war, Kindheitserinnerungen, Gedanken an die erste Liebe, ein längst vergangenes Ereignis, an das sich niemand mehr erinnerte, das aber für den Sterbenden von Bedeutung war.
    Doch Claras ungutes Gefühl blieb bestehen, und das nicht nur wegen des merkwürdigen Zufalls, dass Agnes Thiele am selben Tag wie Johannes Imhofen gestorben war. Sie war Ruths Peinigerin gewesen, die langjährige Leiterin der Klinik, diejenige, die für die weiße Kammer und für Majas Tod die Verantwortung trug: die Schneekönigin, wie Ruth sie in ihren Briefen genannt hatte.
    Aber konnte man einen Schlaganfall vortäuschen? Einen Mord begehen, der aussah wie ein Schlaganfall? Oder hatte man vielleicht einfach angenommen, es sei ein Schlaganfall gewesen, weil Agnes Thiele schon zwei gehabt

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