Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Brüchige Siege

Brüchige Siege

Titel: Brüchige Siege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Bishop
Vom Netzwerk:
fortgehen?«
    »Mein Gott, Mister Henry, wann denn? Er wird schon damit
    fertig, wenn er hört, daß ich da draußen endlich werfen und
    schlagen kann. Wenn Sie ihn sehen, Mister Henry, sagen Sie
    ihm das. Sagen Sie ihm, daß ich nicht seinetwegen fort bin,
    daß ich mich nur aus dem Joch der McKissics befreien
    mußte.«
    »Ich werde ihm das ausrichten«, sagte Henry. »Aber haben
    Sie bedacht, daß er das Joch jetzt alleine tragen muß?«
    »Sein Joch ist, daß er schwarz ist«, sagte Darius. »Er wird es zeitlebens nicht los.«
    Eine braune Spottdrossel stöberte im Unterholz fünf oder
    sechs Fuß von Darius entfernt, plusterte das weißgefleckte
    Brustkleid und warf mit kleinen Zweigen und Kiefernnadeln
    um sich.
    »Mr. Snow tut mir schrecklich leid«, sagte Darius. »Er war
    kein Angeber. Er hatte diese stille Art, die besser zu Wort
    kommt als das Getue der anderen. Deshalb bin ich gekommen.
    Um mich zu verabschieden – von Mr. Snow und von euch. Ich
    war mir nicht sicher, ob es klappt.«
    »Es h-hat geklappt«, sagte ich.

    »Ganz oben in meinem Wandschrank steckt ein kleiner
    gepackter Koffer«, sagte Darius. »Mister Henry, könnten Sie
    mir den Koffer herschaffen, heute abend, meine ich, nach dem
    Spiel, und ihn hier auf die Bank setzen? Ich würde ihn dann
    gegen Mitternacht holen.«
    »Ist ihre Wohnung verschlossen?«
    »Nein, Sir. War sie noch nie.«
    »Geht in Ordnung«, sagte Henry. »Aber was drängt Sie mit
    einem Mal, McKissic House auf so abenteuerliche Weise zu
    verlassen?«
    Darius schien überrascht. »Na ja, weil Mister Cozy mich
    gefragt hat, Mister Cozy bietet mir die Chance, etwas zu tun,
    was ich immer schon tun wollte.«
    »Warum sind Sie nicht schon viel früher gegangen?«
    Das ineinander verhedderte Pekanlaub schien den Blick von
    Darius förmlich hochzukurbeln. Darius suchte in all dem
    grünen Filigranwerk nach einer Antwort. Dann ging er in die

Hocke und spurte mit den Fingern durch den Wall aus
    Kiefernmulch, den seine Schuhe aufstauten. Mir fiel auf, wie
    blank und fadenscheinig sein Hosenboden war.
    »Besser spät als gar nicht«, sagte er schließlich und schielte zu uns rauf. »Aber warum jetzt? Gute Frage, Mister Henry. Ich glaube, weil mein Leben an einem kritischen Punkt ist, wie vor einem Inning, wo das Ganze noch so oder so ausgehen kann –
    je nachdem, ob der entscheidende Durchbruch gelingt und
    wem vor allem. Ich habe den richtigen Augenblick schon fast
    verpaßt. Wer weiß? Aber wenn ich ihn doch noch erwische,
    komme ich vielleicht aus dem kritischen Inning raus und spiele mich durch bis zu einem Punkt, wo ich wieder fit bin und
    keine Angst mehr vor dem Versagen habe.« Dann klang er
    zugleich zornig und den Tränen nahe: »Stoßt mich nicht noch
    mit der Nase drauf, daß ich jetzt erst merke, wie verdammt
    schwach und unsicher ich geworden bin. Laßt es einfach

    bleiben. Ich rühre mich ja. Ich bin dabei, meine Gelenke zu
    schmieren, mich für morgen fit zu machen. Genügt das nicht?«
    »Eigentlich schon«, sagte Henry.
    »Dann werft mir nicht vor, was ich selbst nicht erklären
    kann.«
    »Wir machen dir keine Vorwürfe, Darius.«
    »Krieg ich denn den Koffer, ja? Da ist Bares drin, etwas zum
    ∗
    Anziehen und ein Päckchen Eelskins.«
    Eelskins?
    »Keine Bange«, sagte Henry. »Sie können sich auf mich
    verlassen.«
    »Ach ja!« sagte Darius. »Haben Sie noch die Wetteinsätze
    für das Spiel in Camp Penticuff, Mister Henry?«
    »Das will ich meinen«, sagte Henry überrascht.
    »Na ja, ich habe die Wette gewonnen. So habe ich es
    jedenfalls aus den Lautsprechern gehört. Ich könnte das Geld
    brauchen.«
    Henry griff in die Innentasche seines Jacketts und zückte die
    Brieftasche.
    »Nein, warten Sie«, sagte Darius. »Ich könnte es zwar
    brauchen, aber so wie das Spiel gelaufen ist, verhext durch
    diese verfluchten Fledermäuse und getrübt durch Mr. Snows
    Ableben, nein, da kann ich es nicht annehmen. Geben Sie es
    Mrs. Snow. Sagen Sie, ein Bewunderer ihres Mannes wolle
    sich erkenntlich zeigen.«
    »Gut«, sagte Henry. »Das will ich gerne tun.«
    »Gott segne euch. Lebt wohl.«
    Darius hob die Hand zum Gruß, kehrte uns den Rücken und
    tauchte in den Hain. Er streifte Brombeerzweige, trat auf
    Kiefernnadeln, streifte die winzigen weißen Veilchen und
    machte weniger Lärm als die vertrackte braune Spottdrossel,
    die immer noch im Unterholz stöberte.

    ∗ eelskin = Aalhaut (oder ähnlich dünnes Material)

    47

    CHARLIE SNOW ZUR LETZTEN RUHE ZU

Weitere Kostenlose Bücher