Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Brüchige Siege

Brüchige Siege

Titel: Brüchige Siege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Bishop
Vom Netzwerk:
aufzurichten.
    Unseligerweise verwandelte der Mechanismus dieser
    Anwaltschaft wohlüberlegte Buße in unerwarteten Tod. Nie
    aber habe ich das so gewollt.
    Hört sich meine Argumentation wie spitzfindige
    Selbsttäuschung an? Vielleicht ist sie das. Aber oh! Daniel, ich weiß, daß die Morde meiner ursprünglichen Inkarnation nur
    flüchtige Verirrungen eines sanften Charakters waren, den
    andere – vor allem mein engherziger Schöpfer – zu
    unmenschlicher Grausamkeit verbogen hatten. Dann,
    ausgestoßen und verachtet, habe ich fünfmal aus Rache
    getötet. In dieser meiner viel länger währenden Inkarnation, von vielen akzeptiert und von vielen bejubelt, habe ich bloß ein einziges Mal getötet, Daniel, und zwar, ohne es zu wollen, und aus Liebe. Beweist das nicht, daß ich eine Entwicklung
    durchgemacht habe, die Deine Beachtung verdient? Bin ich
    nicht Dein Freund?
    Faithfully Henry

    PS
    Diese Botschaft überbringt Dir mein Bote Euclid, den ich bei meinem jüngsten Besuch in Highbridge im Haus seiner Mutter angetroffen habe. Wenn Du meine Worte gelesen und ihre
    Tragweite verstanden hast, bitte ich Dich flehentlich, sie zu vernichten, vorzugsweise durch Verbrennen. Habe aber keine Angst, Daniel. Wir werden uns wiedersehen.

    58

    WIE JEMAND VOM KATASTROPHENSCHUTZ, der durch die
    Verwüstungen streift, die ein Tornado hinterlassen hat, so las ich Henrys Brief ein zweites Mal. Obwohl Miss LaRaina mir
    Streichhölzer dagelassen hatte, und ein Abfalleimer so nah am
    Bett stand, daß ich das Päckchen hineinwerfen und verbrennen
    konnte, ohne gleich das Hospital in Brand zu stecken, faltete
    ich die Blätter in den Umschlag zurück und schob ihn unter die Matratze. Mit was für Lügen man mich abgefüttert hatte, mit
    was für aalglattem Gesäusel.
    »Schwester!« brüllte ich. »SCHWESTER!« Zum Glück hatte
    dasselbe famose Schätzchen Dienst, das mir weisgemacht
    hatte, ein Arzt habe das Loch in die Samstagausgabe des
    Herald geschnippelt, um den Ausschnitt für seinen Army-Air-Corps-Vetter aufzuheben. Alles Mumpitz.
    Gutenachtgeschichten. Jedenfalls kam sie mit ihrem
    burschikos feschen Gehabe und ihrem cremefarbenen
    Poschmeichler von Kittel ins Zimmer – niedlich und gestreßt
    wie immer – und beäugte mich, als war ich eine bettlägerische
    Baumwanze.
    »Du brauchst nicht zu rufen, Danny. Drück einfach den
    Knopf.«
    »Miss Giselle hat sich selbst verbrannt. Henry hat Buck Hoey vom Baum geschmissen. Hoey ist draufgegangen. Henry ist
    abgehauen. Alles hat im Herald gestanden, aber ihr habt das alles vertuscht vor mir.«
    »Schatz, mit wem hast du gesprochen?«
    »Warum, zum Teufel, durfte ich das nicht wissen?«

    »Wenn du so weiterredest, muß ich dir deinen frechen Mund
    mit FiSoHex auspinseln.«
    »Den Teufel wirst du. Du saugst Lügen auf wie ein
    Staubsauger den Dreck.«
    Das brachte sie in Harnisch. »Ich tue nur, was man mir sagt.«
    Sie machte auf dem Absatz kehrt und stürmte ins
    Stationszimmer zurück.
    Als Phoebe hereinkam, empfing ich sie genauso. Ich tobte
    und jammerte. Sie trank meinen Wortschwall mit Augen und
    Ohren und blinzelte mit spitzbübischer Skepsis.
    »Hä?«
    »Als du stumm warst, fand ich dich netter.«
    »Und ich fand dich netter, als du noch ehrlich warst,
    geradeheraus und mit offenen Karten…«
    »K-K-K-Karten, meinst du.« Sie ratschte wie eine
    abgesprungene Fahrradkette. »Also beruhige dich mal. Onkel
    JayMac, tief getroffen, wie er war und immer noch ist, wollte
    dir nicht mehr aufladen, als du ohnehin zu tragen hast. Ist das ein Verbrechen?«
    »Trotzdem, ihr habt mich alle belogen!«
    »Wer hat gepetzt, Ichabod? Wer?«
    Tja, ich tat gut daran, den Mund zu halten. Während ich auf
    dem Podest stand und die Lügner brandmarkte, tat ich gut
    daran, selbst zu lügen. »Da kam dieser Bursche mit dem
    Herald von Samstag an der Tür vorbeigehumpelt. Er hat m-mmich mal reingucken lassen.«
    Im September gab es zwei Nachoperationen, Physiotherapie
    mit Stützgeländer und Krücken (was mich an Henrys
    Anstrengungen in Missouri erinnerte, nachdem er selbst Hand
    an seine Größe gelegt hatte), ein paar Sitzungen mit einem aus Camp Penticuff importierten ›Nußlöffel‹ und mehr Zeit zum
    Grübeln und Trübsinnblasen als ein ganzes eingeschlossenes
    Frontregiment mit Schützengrabenfüßen. Ich füllte die Zeit mit Briefen an Mama Laurel auf und mit der Lektüre eines langen
    tragischen Romans über einen jungen britischen Arzt mit
    Klumpfuß.

    Als ich auf Krücken

Weitere Kostenlose Bücher