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Brüder der Drachen

Brüder der Drachen

Titel: Brüder der Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Weissbecker
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nicht einfach weggeschickt hätten. Stattdessen sah Loridan sich mit neuen Rätseln konfrontiert, und das größte darunter war die junge Frau, die vielleicht ein Engel war. Was immer sie sein mochte, sie hatte Loridan verzaubert, allein mit ihrer ruhigen, sanften Stimme. In all seiner Verwirrung fühlte er doch eine tiefe Befriedigung in sich, denn er hatte es tatsächlich geschafft, sich friedlich mit einem Drachen zu verständigen – wenn auch nur über die Vermittlung dieser Frau.
    Ja, sie musste eine Frau sein und kein Engel. Ein Engel würde sicher nicht den Anweisungen der Drachen folgen, ein Engel würde den Drachen sagen, was sie tun sollen. Es sei denn, die Drachen waren wirklich Diener Aeons, und dann wäre alles, an was er bisher geglaubt hatte, bedeutungslos geworden. Trotzdem – wenn Firion einen Engel in diese Welt schicken sollte, dann würde er ihn sicherlich zu den Menschen senden und nicht zu den Drachen. Ja, sie musste eine Frau sein – eine Frau, schöner als alle anderen Frauen, wenn man sich auf das Urteil des Sängers verlassen konnte. Loridan bedauerte, dass er sie nur schemenhaft hatte erkennen können, auch wenn ihr Aussehen die Faszination, die er für sie empfand, kaum noch steigern konnte. Sie hatte das erreicht, was er sich am sehnlichsten wünschte: Sie redete mit den Drachen. Und er hatte in ihrer Nähe etwas empfunden – ein Gefühl der Zusammengehörigkeit, das ihn nicht mehr losließ. Nie zuvor hatte er sich derartig zu einer Frau hingezogen gefühlt.
    Plötzlich blieb der Drache stehen und wandte sich zu dem Ritter um, dann bewegte er seinen Kopf wieder vorwärts. Als Loridan dieser Bewegung mit seinen Augen folgte, sah er ein kleines, flackerndes Licht in der Dunkelheit vor sich. Offenbar war dies das Feuer, an dem Herubald und Jandaldon auf ihn warteten. Loridan ahnte, dass der Drache sich nun von ihm trennen würde, und er überlegte, welche Abschiedsgeste wohl am ehesten für den Drachen verständlich war. Sein Führer erleichterte ihm diese Entscheidung, indem er seinen Kopf wieder zu dem Ritter hinuntersenkte und ihn musterte. Ohne lange zu zögern zog Loridan seine rechte Hand aus dem Handschuh und berührte vorsichtig die Nüstern des Drachen, deren harte Haut sich sehr warm anfühlte. Diesmal entzog sich der Drache dieser Berührung nicht, und er fixierte den Ritter mit ruhigem Blick.
    »Ich hoffe, wir sehen uns bald wieder«, sagte Loridan.
    Der Drache wandte sich um und ging einige Schritte den fernen Bergen entgegen, dann breitete er seine Schwingen aus und hob sich mit kräftigen Schwüngen in den Himmel, ein dunkler Schemen vor den funkelnden Sternen. Die Schönheit dieser Bewegungen ließ Loridans Herz höher schlagen, während er die aufgewirbelte Nachtluft kühl in seinem Gesicht spürte. Erst jetzt erkannte er, welch ein großes Opfer es für den Drachen bedeutet hatte, eine so große Strecke am Boden zurückzulegen, statt pfeilschnell durch die Lüfte zu reisen. Rasch verschmolzen die Umrisse des Drachen mit der Dunkelheit des Himmels, doch Loridans Blick blieb weiter auf die Berge im Westen gerichtet. Ein Schatten legte sich langsam über die weißen Schneefelder, und als der Ritter nach oben sah, erkannte er eine dichte Wolkenbank, die Eril-Firion bereits zur Hälfte bedeckt hatte und sich unaufhaltsam weiterschob. Bald würden nur noch die Sterne das Land erhellen, und Loridan wandte sich mit einem Seufzen nach Osten, um sich auf den Rückweg zu machen. Zumindest bestand keine Gefahr, sich zu verlaufen, denn der Schein des fernen Lagerfeuers würde ihn sicher leiten. Unwillkürlich musste Loridan lächeln – er spazierte bei Nacht allein durchs Drachenland, den Helm am Schwertgurt hängend, und seine größte Sorge war es, sich auf dem unsicheren Weg einen Knöchel zu verstauchen. Er schalt sich einen Narren, weil er ohne eine Fackel auf diese nächtliche Wanderung aufgebrochen war, und überlegte für einen Moment, ob er nicht eine Weile ruhen sollte, bis die Wolken, die Eril-Firion verdunkelten, weitergezogen wären. Schnell entschied er sich jedoch gegen diese Möglichkeit, denn er sehnte sich danach, seine Eindrücke mit Herubald zu teilen. Vorsichtig setzte Loridan seinen Weg durch die Dunkelheit fort, geleitet von dem Feuer, an dem sein Schwertbruder auf ihn wartete.
    Ein plötzliches Geräusch ließ ihn aufschrecken – irgendetwas bewegte sich in der Dunkelheit vor ihm, wo sich die diffusen Umrisse eines Gebüsches im Sternenschein abzeichneten.

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