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Brüder Des Zorns

Brüder Des Zorns

Titel: Brüder Des Zorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Maddox Roberts
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Gemach des Königs, wo alles unverändert war. Er durchquerte das kleine Empfangszimmer, in dem die Unterhaltung mit der Königin stattgefunden hatte. Auch dort sah alles unverändert aus, nur die Speisen und Getränke waren aufgefüllt worden. Da er seit geraumer Zeit nichts Sättigendes zu sich genommen hatte, speiste er ausgiebig. Als die Königin eintrat, erhob er sich hastig und verneigte sich. Sie bedeutete ihm, wieder Platz zu nehmen.
    »In Zeiten wie diesen ist ein Königshof ein eigenartiger Ort«, meinte sie. »Niemand weiß, was er tun soll. An gewöhnlichen Tagen ist jede Tat jedes einzelnen durch die Anweisungen des Herrschers festgelegt. Jetzt sind alle verwirrt. Man kann der täglichen Routine nicht länger folgen, hat aber auch keine Regeln für Krisenzeiten. Der Hof kann sich nicht nach den Wünschen des Königs richten, befindet sich aber auch nicht in Trauer. Niemand kann etwas tun, bis die Lage eindeutig geklärt ist – zum Guten oder zum Schlechten.« Gedankenversunken tippte die Königin auf einen Gegenstand, und Ansa sah, dass es sich um ein kunstvoll verziertes Rohr aus Bronze handelte, in dem Botschaften überbracht wurden. Ein nicht erbrochenes Wachssiegel verschloss den Behälter.
    »Du hast eine wichtige Botschaft erhalten?«
    »Ja, aber ich zögere, sie zu lesen. Die Unfähigkeit zu handeln, die den ganzen Hof befallen hat, berührt auch mich. Die Botschaft stammt von König Gasam, und ich befürchte Schreckliches.«
    Ein kalter Schauer überlief Ansa. Eine Botschaft von Gasam! Eine Herausforderung? Oder eine von seinen einschmeichelnden Lügen? Sie hätte zu keinem unpassenderen Zeitpunkt eintreffen können.
    »Du musst sie möglichst bald lesen«, sagte er.
    »Ich weiß. Aber ich warte, bis ich die engsten Vertrauten des Königs um mich versammelt habe.« Abermals tippte sie auf die Bronzeröhre. »Ich möchte, dass du ebenfalls anwesend bist.«
    »Ich weiß die Ehre zu schätzen«, antwortete Ansa, »aber deine Ratgeber werden dagegen sein.«
    »Von mir aus!« entgegnete sie. »Es ist mir ziemlich egal. Du bist neu hier und siehst alles mit anderen Augen.«
    »Worauf soll ich achten?«
    »Auf die Gesichter der Ratgeber. Ich möchte wissen, welchen Eindruck du von ihnen hast, wenn sie Gasams Worte hören und noch keine Zeit hatten, sie zu überdenken und sich zusammenzureißen. Gasam führt einen Eroberungskrieg in unserem Nachbarland. Das hier …« – sie schlug heftig gegen die Bronzeröhre -»… ist vermutlich ein Ultimatum. Ein paar Ratgeber erwägen sicherlich, uns den Rücken zuzukehren und gleich zu Gasam überzulaufen.«
    »Dabei haben sie doch nichts zu gewinnen«, wandte Ansa ein.
    »Vielleicht, aber in manchen Menschen steckt von Geburt an die Neigung zum Verrat. Sie können ebenso wenig aufhören, mit doppelter Zunge zu sprechen, wie sie das Atmen einzustellen vermögen. Es ist mir wichtig, deine Meinung zu hören.«
    »Ich stehe dir zu Diensten. Wann soll die Zusammenkunft stattfinden?«
    »Heute Abend, falls keine grundlegende Veränderung im Befinden des Königs stattfindet. Die Ratgeber sind seit Tagen versammelt, und es wird nicht lange dauern, sie herbeizurufen.«
    Sie verstummte, als sich die Tür öffnete und Fyana eintrat.
    Ihr Aussehen entsetzte Ansa. Sie war bleich und erschöpft, und zwei Dienerinnen stützten sie zu beiden Seiten.
    Die Königin zog einen Stuhl vom Tisch weg, und die Frauen halfen Fyana, sich zu setzen. Die Herrscherin entließ die beiden und schenkte Wein in einen Becher ein, ehe sie wieder Platz nahm und besorgt zusah, wie Fyana mit zitternden Fingern in ihrer Gürteltasche kramte. Schließlich holte sie eine winzige Flasche heraus und entkorkte sie. Sechs Tropfen der Flüssigkeit ließ sie in ihren Wein fallen, ehe sie die Flasche sorgfältig wieder verstaute. Mit beiden Händen umklammerte sie den Becher und trank.
    Die Zeit verging, und alle schwiegen. Fyana trank immer wieder in kleinen Schlucken, bis ihr Gesicht ein wenig Farbe annahm. Schließlich war sie in der Lage, den Becher in einer Hand zu halten, ohne zu zittern oder ihn abzusetzen.
    »Es geht vorbei«, erklärte sie mit heiserer Stimme. »Wenn die Behandlung so schwierig ist, befällt den Heilenden ein Teil der Krankheit des Patienten.«
    »Bitte stärke dich«, bat die Königin. »Rede erst, wenn du dich kräftig genug fühlst.«
    Ansa schenkte Fyana nach und stellte einen vollen Teller vor sie hin. Vorsichtig aß Fyana ein paar winzige Pasteten und etwas gegrillten Fisch,

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