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Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Titel: Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Mantel
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mit Knüppeln geschlagen, bis er zu Boden ging. Als die Gardisten ihn befreit hatten, war sein Gesicht blutüberströmt, das Haar war ihm büschelweise ausgerissen, und er konnte kaum noch laufen.
    Kurz vor dem Rathaus versperrte man ihnen den Weg. Es kam zu Auseinandersetzungen zwischen denjenigen, die für sofortiges Aufhängen waren, und denen, die ihm vorher noch den Prozess machen wollten. Der eingepferchte, verängstigte de Launay streckte die Arme aus; sie wurden von beiden Seiten gepackt, sodass er das Blut nicht mehr wegwischen konnte, das ihm aus den Haaren in die Augen lief. In seiner Qual trat er um sich, und sein Fuß traf die Weichteile eines Mannes namens Desnot. Desnot – ein arbeitsloser Koch – brüllte laut auf vor Schreck und Schmerz. Er ging in die Knie, krümmte sich.
    Ein Unbekannter stieg über Desnot hinweg und fasste den Gefangenen ins Auge. Er zögerte kurz, machte dann einen Schritt vorwärts und stieß de Launay sein Bajonett in den Bauch. Als er es herauszog, fingen sechs weitere Klingen den Stürzenden auf. Jemand drosch ihm immer wieder ein großes Holzscheit gegen den Hinterkopf. Seine Beschützer wichen zurück, und die Menge schleifte den Sterbenden in den Rinnstein. Auf seinen zerschlagenen, zuckenden Leib wurden mehrere Schüsse abgefeuert. Desnot kam stolpernd auf die Füße und taumelte nach vorn. »Er gehört dir«, rief eine Stimme. Mit einer Schmerzensgrimasse fischte Desnot in seiner Tasche und kniete bei dem Leichnam nieder. Er fuhr mit den Fingern in de Launays verbliebene Haarsträhnen, klappte ein kleines Messer auf, bog den Kopf des Toten zurück und begann, an seiner Kehle herumzusäbeln. Man hielt ihm ein Schwert hin, aber es war ihm zu fremd; das Gesicht noch verzogen vor Schmerz von dem Fußtritt, hackte er so lange mit dem Taschenmesser weiter, bis de Launays Kopf vollständig abgetrennt war.
    Camille schlief. Seine Träume waren grün, pastoral, viel klares Wasser sprudelte in ihnen. Nur ganz zum Schluss wurde das Wasser trüb und klumpig, Kloake, durchgeschnittene Kehlen. »Oh, verflucht«, hörte er eine Frauenstimme flüstern. Tränenerstickt. Sein Kopf ruhte an einem wenig mütterlichen Busen. »Ich bin nicht ganz Herrin meiner selbst«, sagte Louise Robert.
    »Sie haben geweint«, bemerkte er. Etwas Besseres fiel ihm nicht ein. Wie lange hatte er geschlafen? Eine Stunde, einen halben Tag? Er begriff nicht, was er auf dem Robert’schen Ehebett machte. Er begriff nicht, wie er dort hingekommen war. »Wie viel Uhr ist es?«, fragte er sie.
    »Setzen Sie sich auf«, sagte sie. »Setzen Sie sich auf und hören Sie mir zu.« Sie war ein kleines Mädchen, bleich und zartknochig. Sie fing an, auf und ab zu gehen. »Das hier ist nicht unsere Revolution«, sagte sie. »Nicht unsere, nicht Brissots, nicht Robespierres.« Abrupt blieb sie stehen. »Ich kannte Robespierre«, sagte sie. »Wenn ich gewollt hätte, könnte ich jetzt vermutlich Mme Kerze von Arras sein. Wäre ich damit besser gefahren?«
    »Ich habe keine Ahnung.«
    »Es ist Lafayettes Revolution«, sagte sie. »Und die von Bailly und diesem Scheusal Philippe. Trotzdem, besser als gar nichts.« Sie betrachtete ihn, beide Hände an die Kehle gedrückt. »Ausgerechnet Sie.«
    »Kommen Sie wieder her.« Er streckte die Hand nach ihr aus. Er hatte das Gefühl, auf einem Eismeer zu treiben, fernab der Menschheit. Sie setzte sich neben ihn, strich ihre Röcke zurecht. »Ich habe den Laden geschlossen. Niemand ist mehr an Kolonialwaren interessiert. Seit zwei Tagen kauft überhaupt niemand mehr ein.«
    »Vielleicht gibt es bald gar keine Kolonien mehr. Und keine Sklaven.«
    Sie lachte. »Das dauert noch. Aber lenken Sie mich nicht ab. Ich habe hier einen Auftrag zu erledigen, ich muss dafür sorgen, dass Sie nicht in die Nähe der Bastille gehen – nicht, dass Ihr Glück Sie plötzlich doch verlässt.«
    »Es war kein Glück.« Halbwach erst, bastelt er doch schon an seiner Legende.
    »Schon möglich, dass Sie das glauben.«
    »Wenn ich zur Bastille ginge und dort umkäme, würde ich in die Geschichte eingehen, stimmt’s?«
    »Ja.« Sie sah ihn skeptisch an. »Aber Sie kommen nicht um, weil Sie ja nirgendwo hingehen.«
    »Es sei denn, Ihr Mann kommt und bringt mich um«, sagte er mit einem Blick auf das Bett.
    »Richtig.« Sie lächelte grimmig, ohne ihn anzusehen. »Allerdings gedenke ich François treu zu bleiben. Ich glaube nämlich, dass wir eine Zukunft haben.«
    Alle haben wir ab heute eine Zukunft. Es

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