Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety
zerstörerisch.«
»Wenn brave kleine Mädchen wie du sie gut fänden, würde ich nicht viel bewegen, oder?«
»Mir scheint, Sie haben Ihren Teil der Abmachung nicht eingehalten«, sagte sie. »Sie können nicht furchtbar betrunken sein, wenn Sie das alles geschrieben haben.«
»Schreiben kann ich in jeder Verfassung.«
»Vielleicht erklärt das ja manches davon.« Sie schlug die Seiten um. Seine schwarzen Augen fixierten sie unverwandt. Um seinen Hals lag ein silbernes Kettchen; der Anhänger war in den Falten seines Hemdes verborgen. Trug er am Ende ein Kruzifix? Stand es um ihn vielleicht doch nicht so schlimm, wie es den Anschein hatte? Es drängte sie sehr, dem nachzugehen, die Frömmigkeit gebot es, aber nicht die Frömmigkeit allein. Eine Krisis, so erkannte sie augenblicklich: den Moment der Versuchung hätte ihr Beichtvater es genannt. Er sah, in welche Richtung ihr Blick ging, und brachte aus seinem Hemd ein Medaillon aus getriebenem Silber zum Vorschein. Darin – er zeigte es ihr schweigend – ringelte sich eine feine Haarlocke.
»Luciles?«
Er nickte. Sie wölbte die linke Hand behutsam um das Medaillon; die Finger ihrer Rechten streiften dabei die Haut seiner Halsgrube. Da – passiert! Im nächsten Moment hätte sie sich die Hand am liebsten abgehackt. »Denk dir nichts«, sagte er. »Du wirst über mich hinwegkommen.«
»Sie sind unerträglich eitel.«
»Ja, es gab nie einen Grund für mich, es nicht zu sein. Aber du, Bürgerin, solltest lernen, deine Finger bei dir zu behalten.«
Sein Ton war so ätzend, dass sie am liebsten in Tränen ausgebrochen wäre. »Warum sind Sie so gemein zu mir?«
»Weil du die Unterhaltung mit der Frage eröffnet hast, ob ich betrunken bin, was selbst nach heutigen Maßstäben äußerst unhöflich ist, und auch, weil man bei jemandem, der sich schon so früh morgens so kratzbürstig gibt, annimmt, dass er auch einstecken kann. Mach dir eines ganz klar, Louise: Falls du dir einbildest, in mich verliebt zu sein, schlag es dir blitzschnell wieder aus dem Kopf. Ich will, dass es da keinen Zweifel gibt. Was Danton sich bei meiner Frau herausnehmen darf und was ich mir bei Dantons Frau herausnehmen darf, sind zwei Paar Stiefel.«
Schweigen. »Du musst kein so entrüstetes Gesicht machen«, sagte Camille. »Du hast alles bestens in die Wege geleitet.«
Sie fing zu zittern an. »Was hat er gesagt? Was hat er Ihnen erzählt?«
»Dass er verrückt nach dir ist.«
»So etwas sagt er zu Ihnen? Was hat er genau gesagt?«
»Warum sollte ich dir das erzählen?«
»Wann hat er es gesagt? Gestern Nacht?«
»Heute Morgen.«
»Mit welchen Worten?«
»Was weiß ich, mit welchen Worten.«
»Worte sind Ihr Beruf«, schrie sie ihn an. »Natürlich wissen Sie es.«
»Er hat gesagt: ›Ich bin verrückt nach Louise.‹«
Kein Wort glaubte sie ihm, aber egal:
»War ihm ernst damit? Wie hat er es gesagt?«
»Wie?«
»Wie.«
»Auf die übliche Vier-Uhr-morgens-Art.«
»Und wie geht die?«
»Wenn ihr verheiratet seid, wirst du das schon herausfinden.«
»Manchmal«, sagte sie, »denke ich, dass Sie ein böser Mensch sind. Ich weiß, das ist ein starkes Wort, aber das ist meine Meinung.«
Camille senkte kokett die Lider. »Man tut sein Möglichstes. Aber, Louise, du solltest nicht zu streng mit mir sein, weil du nämlich sozusagen mit mir wirst leben müssen. Es sei denn, du hast vor, ihm einen Korb zu geben, aber so dumm bist du nicht, nicht wahr?«
»Das werden wir sehen. Aber wer sagt, dass ich auch nur eine Silbe von dem glaube, was Sie da reden?«
»Er will mit dir schlafen, darum geht es, verstehst du? Und er weiß nicht, wie er das bewerkstelligen soll, außer er heiratet dich. Ein Ehrenmann, unser Georges-Jacques. Ein ehrenwerter, friedliebender, häuslicher Zeitgenosse. Wenn ich einen solchen Ehrgeiz hegen würde, würde ich natürlich anders vorgehen.«
Und er beugte sich vornüber, Ellbogen aufgestützt, Hände über den Mund geklappt. Einen Augenblick lang wusste sie nicht, ob er lachte oder weinte, aber sie blieb nicht lange im Zweifel. »Lachen Sie ruhig, wenn Sie wollen«, sagte sie düster. »Ich bin es langsam gewohnt.«
»Gut, gut. Wenn ich das Fabre erzähle«, sagte er mühsam, »wenn ich Fabre von dieser Unterhaltung erzähle – das glaubt er mir nie und nimmer.« Er wischte sich die Augen. »Ich fürchte, du wirst dich an so einiges gewöhnen müssen.«
Sie sah auf ihn hinunter. »Frieren Sie nicht?«
»Doch.« Er stand auf. »Ich sollte mich
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