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Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Titel: Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Mantel
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1787
 
Es wird verfügt, dass alle Ausdrücke in dem gedruckten, von dem Advokaten Robespierre unterzeichneten Gutachten, die der Autorität des Gesetzes oder der Rechtsprechung abträglich sind und eine Beleidigung der Richter darstellen, gestrichen werden. Dieser Erlass ist in der Stadt Arras öffentlich zu machen.
     
    Der Conseil d’Artois
    Ab und zu ein winziger Lichtpunkt in der allumfassenden Finsternis: Eines Tages trat, als er gerade das Gerichtsgebäude verließ, ein junger Advokat namens Hermann zu ihm und sagte: »Wissen Sie, de Robespierre, ich glaube langsam, dass Sie recht haben.«
    »Womit?«
    Der junge Mann schaute überrascht drein. »Oh, mit allem.«
    Er schrieb einen Essay für die Akademie von Metz:
Der wichtigste Kraftquell einer Republik ist vertu , die Liebe zum Gesetz und zum Vaterland, und deren innerstes Wesen gebietet, dass alle Privatinteressen und alle persönlichen Beziehungen hinter dem Allgemeinwohl zurückstehen müssen … Jeder Staatsbürger hat Teil an der Hoheitsgewalt … und darf daher auch seinen liebsten Freund nicht freisprechen, wenn die Sicherheit des Staates dessen Bestrafung erfordert.
    Als er das geschrieben hatte, legte er die Feder weg, starrte auf die Textpassage und dachte: Das ist ja alles schön und gut, ich habe leicht reden, schließlich habe ich keinen liebsten Freund. Aber dann dachte er, natürlich habe ich einen: Camille.
    Er kramte nach dessen letztem Brief. Ziemlich wirr war er gewesen, irgendetwas mit einer verheirateten Frau, und das Ganze auf Griechisch. Indem er sich der toten Sprache bediente, verbarg Camille sein Elend, seine Verwirrung, seinen Schmerz vor sich selbst; indem er den Empfänger zum Übersetzen zwang, sagte er, glaub mir, für mich ist mein Leben eine elitäre Zerstreuung, etwas, das erst dann existiert, wenn es niedergeschrieben und per Post verschickt wird. Max legte die flache Hand auf den Brief. Käme dein Leben doch nur in geregelte Bahnen, Camille. Hättest du doch nur einen kühleren Kopf, ein dickeres Fell … könnte ich dich doch nur mal wiedersehen. Ach, würde doch nur alles zum Besten zusammenwirken.
    Es ist jetzt sein tägliches Werk, die eklatanten Ungerechtigkeiten des Systems genauso wie die kleinen Manifestierungen der Tyrannei hier in Arras eine um die andere aufzuzeigen. Er hat, weiß Gott, versucht, versöhnlich zu sein, sich einzufügen. Er ist nüchtern und konformistisch gewesen, ehrerbietig gegenüber erfahreneren Kollegen. Wenn er leidenschaftlich und unbarmherzig gesprochen hat, dann nur, um sie aufzurütteln und zu den richtigen Schritten zu bewegen; er ist kein unbarmherziger Mann. Aber er will das Unmögliche – sie sollen zugeben, dass das System, innerhalb dessen sie ihr Leben lang gewirkt haben, schlecht und verkehrt ist, dass es jeder vernünftigen Grundlage entbehrt.
    So manches Mal, wenn er mit einem verlogenen Gegner oder einem wichtigtuerischen Richter konfrontiert ist, kämpft er gegen den Impuls an, dem Mann die Faust ins Gesicht zu rammen, kämpft mit solcher Macht dagegen an, dass ihm Nacken und Schultern schmerzen. Jeden Morgen öffnet er die Augen und sagt: »Lieber Gott, hilf mir, diesen Tag zu ertragen.« Und er betet, dass irgendetwas geschehen möge, das ihn von diesen endlosen, höflichen gegenseitigen Beschuldigungen erlöst und ihn vor der Vergeudung seiner Jugend, seines Witzes und seines Mutes bewahrt. Max, du kannst es dir nicht leisten, diesem Mann dein Honorar zurückzuerstatten. Er ist arm, ich muss es tun. Max, was würdest du gern zu Abend essen? Keine Ahnung. Max, wann ist denn nun der glückliche Tag? Er träumt davon zu ertrinken, in den tiefsten Tiefen des spiegelglatten Meeres.
    Er versucht, nirgendwo anzuecken. Er hält sich für einen vernünftigen, vermittelnden Menschen. Er weiß sich zu entziehen, auszuweichen, sich herauszuhalten. Er kann geheimnisvoll lächeln und jede Festlegung verweigern. Er kann spitzfindig sein, um Worte streiten. So kann man leben, denkt er; doch er irrt. Denn bald wird sich eine Frage stellen, die nur ein Ja oder Nein zulässt: Wollen Sie eine Revolution, M. de Robespierre? Ja, verdammt noch mal, ja, ihr alle, ich will eine, wir brauchen eine, es wird zu einer kommen.

4. Eine Hochzeit, ein Aufstand,
ein Prinz von Geblüt
    1787–1788
    Lucile hat nicht Ja gesagt. Sie hat nicht Nein gesagt. Sie hat nur gesagt, dass sie darüber nachdenken will.
    ANNETTE : Ihre erste Reaktion war Panik, ihre zweite Wut; als die akute Krise vorbei war und

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