Brunetti 02 - Endstation Venedig
wirklich jeden Zweifel ausgeräumt, wie?« fragte Brunetti.
»Es gibt keine Anzeichen dafür, daß sie zu der Injektion gezwungen wurde.«
»Und diese Blutergüsse?«
»Sie ist gestürzt«, antwortete Ambrogiani.
»Wie es aussieht, hat sie es also selbst getan?«
»Ja.« Sie schwiegen beide ein Weilchen, dann fragte Ambrogiani: »Kommen Sie hierher?«
»Ich bin angewiesen worden, die Amerikaner nicht weiter zu belästigen.«
»Von wem?«
»Von unserem Vice-Questore hier in Venedig.«
»Und was werden Sie tun?«
»Ich warte erst einmal ein paar Tage, eine Woche vielleicht, dann würde ich gern kommen und mit Ihnen reden. Haben Ihre Leute Kontakt zu den Amerikanern?«
»Nicht viel. Wir bleiben unter uns. Aber ich will sehen, was ich über die Dottoressa herausfinden kann.«
»Haben Italiener mit ihnen zusammengearbeitet?«
»Das glaube ich nicht. Warum?«
»Ich bin mir nicht sicher. Aber beide, besonders Foster, mußten beruflich viel herumreisen, zum Beispiel nach Ägypten.«
»Drogen?« fragte Ambrogiani.
»Konnte sein. Oder auch etwas anderes.«
»Was?«
»Ich weiß es nicht. Irgendwie sieht mir das nicht nach Drogen aus.«
»Und wonach sieht es für Sie aus?«
»Das kann ich nicht sagen.« Er blickte auf und sah Vianello an der Tür stehen. »Hören Sie, Maggiore, ich habe jetzt jemanden hier. Ich rufe Sie in ein paar Tagen wieder an. Dann können wir überlegen, wann ich zu Ihnen komme.«
»Gut. Ich sehe inzwischen, was ich hier herausbekommen kann.«
Brunetti legte auf und winkte Vianello zu sich ins Büro. »Neues von Ruffolo?« fragte er.
»Ja, Commissario. Die Leute in der Wohnung unter seiner Freundin sagen, er war letzte Woche da. Sie haben ihn ein paarmal auf der Treppe gesehen, aber seit drei oder vier Tagen nicht mehr. Soll ich mal mit Ivana reden?«
»Ja, vielleicht sollten Sie das lieber doch tun. Sagen Sie ihr, daß es diesmal anders ist als sonst. Viscardi wurde tätlich angegriffen, das ändert die Lage, besonders wenn sie ihn versteckt hält oder weiß, wo er ist.«
»Meinen Sie, das hilft etwas?«
»Bei Ivana?« fragte Brunetti spöttisch.
»Na ja, wahrscheinlich nicht«, stimmte Vianello zu. »Aber ich versuche es trotzdem. Ich rede lieber mit ihr als mit seiner Mutter. Wenigstens verstehe ich, was sie sagt, auch wenn jedes Wort eine Lüge ist.«
Nachdem Vianello gegangen war, um mit Ivana zu sprechen, ging Brunetti wieder ans Fenster, doch nach einigen Minuten fand er das unbefriedigend und setzte sich an seinen Schreibtisch. Ohne die Akten anzusehen, die man ihm im Laufe des Morgens dort hingelegt hatte, grübelte er über die verschiedenen Möglichkeiten nach. Die erste, daß es tatsächlich eine Überdosis gewesen war, verwarf er unbesehen. Auch Selbstmord war unmöglich. Er hatte schon verzweifelte Liebende gesehen, die ohne den anderen keine Zukunft mehr sahen, aber zu denen gehörte sie nicht. Und wenn man diese beiden Möglichkeiten ausschloß, blieb nur die eine, daß es Mord war.
Dafür hatte es allerdings der Planung bedurft, denn Zufall schloß er in solchen Dingen aus. Da waren diese Blutergüsse - keine Sekunde glaubte er an einen Sturz -, jemand konnte sie festgehalten haben, während ihr die Spritze verpaßt wurde. Die Autopsie hatte ergeben, daß sie getrunken hatte; wieviel mußte jemand trinken, um so fest einzuschlafen, daß er einen Nadelstich nicht fühlte, oder um so beduselt zu sein, daß er sich nicht dagegen wehren konnte? Und noch wichtiger: Mit wem hatte sie getrunken, bei wem hätte sie sich so entspannt gefühlt? Kein Liebhaber, denn der ihre war gerade erst umgebracht worden. Ein Freund. Und wer waren die Freunde von Amerikanern im Ausland? Wem vertrauten sie, wenn nicht anderen Amerikanern? All das deutete auf den Stützpunkt und ihre Arbeit hin. Die Antwort, wie immer sie ausfallen mochte, lag dort.
17
Es vergingen drei Tage, an denen Brunetti so gut wie nichts tat. In der Questura unterzog er sich der Alltagsroutine seines Berufs: las Berichte, unterschrieb sie, stellte einen Personalplan fürs kommende Jahr auf, ohne auch nur einmal daran zu denken, daß dies eigentlich Pattas Aufgabe war. Zu Hause sprach er mit Paola und den Kindern, die alle viel zu sehr mit dem Beginn des neuen Schuljahrs beschäftigt waren, um zu merken, wie geistesabwesend er war. Selbst die Suche nach Ruffolo interessierte ihn nicht sonderlich, denn er war sicher, daß ein so leichtgläubiger und unbesonnener Kerl bald einen Fehler begehen und der Polizei
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