Brunetti 04 - Vendetta
über ein Geschäft mit Polen oder Tschechien gelesen - irgendeines dieser Länder, wo man Kartoffeln ißt und sich schlecht anzieht -, aber genau weiß ich es nicht mehr.«
»Was für eine Art von Geschäft?«
Sie schüttelte den Kopf, konnte sich nicht erinnern.
»Könnten Sie das herausbekommen?«
»Wenn ich zum Gazzettino ins Archiv gehe und nachsehe, wahrscheinlich schon.«
»Haben Sie etwas für den Vice-Questore zu erledigen?«
»Ich bestelle ihm noch einen Tisch fürs Mittagessen, dann gehe ich gleich zum Gazzettino. Soll ich sonst noch etwas heraussuchen?«
»Ja, über die Ehefrau. Wer schreibt denn zur Zeit die Gesellschaftsspalte?«
»Pitteri, glaube ich.«
»Aha, dann reden Sie mal mit ihm und sehen Sie, ob er etwas über die beiden weiß, was er nicht veröffentlichen kann.«
»Was ja immer genau das ist, was die Leute am liebsten lesen.«
»Scheint so«, sagte Brunetti.
»Noch etwas, Commissario?«
»Nein, vielen Dank, Signorina. Ist Vianello im Haus?«
»Ich habe ihn noch nicht gesehen.«
»Wenn er kommt, würden Sie ihn dann bitte zu mir hochschicken?«
»Aber sicher«, antwortete sie, indem sie sich wieder ihrer Zeitschrift zuwandte. Brunetti warf einen Blick darauf, um zu sehen, was für einen Artikel sie gerade las - Schulterpolster -, und ging dann in sein Büro zurück.
Die Akte enthielt, wie immer zu Beginn einer Ermittlung, wenig mehr als Namen und Daten. Carlo Trevisan war vor fünfzig Jahren in Trient geboren und hatte an der Universität von Padua studiert, dort sein Juraexamen abgelegt und sich danach als Anwalt in Venedig niedergelassen. Vor achtzehn Jahren hatte er Franca Lotto geheiratet und mit ihr zwei Kinder in die Welt gesetzt, die inzwischen fünfzehnjährige Francesca und den jetzt siebzehnjährigen Sohn, Claudio.
Avvocato Trevisan hatte sich nie für Strafrecht interessiert und nie mit der Polizei zu tun gehabt. Auch war er nie der Guardia di Finanza aufgefallen, was man entweder als Wunder nehmen oder als Zeichen dafür verstehen mußte, daß seine Steuererklärungen immer in Ordnung waren, was wiederum ein Wunder gewesen wäre. Außerdem enthielt die Akte eine Liste der Angestellten in Trevisans Kanzlei und eine Kopie seines Paßantrags.
»Lavata con Perlana«, sagte Brunetti laut, als er die Papiere auf seinen Schreibtisch legte, eine Anlehnung an den Werbeslogan für ein Waschmittel, das angeblich alles und jedes weißer als weiß wusch. Wer konnte eine weißere Weste haben als Carlo Trevisan? Und interessanter noch, wer konnte ihm zwei Kugeln verpaßt und sich nicht einmal die Mühe gemacht haben, die Brieftasche mitzunehmen?
Brunetti zog mit dem rechten großen Zeh die unterste Schublade seines Schreibtischs auf und legte die Füße über Kreuz darauf. Wer immer das war, mußte es zwischen Padua und Mestre getan haben: niemand wäre das Risiko eingegangen, im selben Zug erwischt zu werden, wenn dieser in den Bahnhof von Venedig einfuhr. Es war kein Nahverkehrszug, also war Mestre der einzige Halt zwischen Padua und Venedig. Unwahrscheinlich, daß jemand, der in Mestre ausstieg, irgendwie auffiel, aber immerhin konnte man ja mal beim Bahnhof nachfragen. Die Schaffner saßen normalerweise im ersten Wagen, mußten also befragt werden, woran sie sich erinnerten. Und die Waffe natürlich; ergab eine Untersuchung der Geschosse, daß sie schon bei anderen Verbrechen benutzt worden war? Schußwaffen unterlagen einer strengen Kontrolle, es war also eventuell möglich, ihre Herkunft zurückzuverfolgen. Warum war Trevisan in Padua gewesen? Mit wem? Die Ehefrau überprüfen! Dann bei Nachbarn und Freunden herausfinden, ob sie die Wahrheit gesagt hatte. Die Tochter, eine Geschlechtskrankheit mit vierzehn Jahren?
Er bückte sich, zog die Schublade ganz heraus und griff nach dem Telefonbuch. Er schlug es auf und fand den Buchstaben Z. Unter Zorzi, Barbara, medico standen zwei Einträge, einer für ihre Privatwohnung, einer für die Praxis. Er wählte die Praxisnummer und geriet an den Anrufbeantworter, der ihm sagte, daß ihre Sprechstunde um sechzehn Uhr anfing. Daraufhin wählte er die Privatnummer und hörte dieselbe Stimme, die ihm mitteilte, die Dottoressa sei momentaneamente assente, und ihn bat, seinen Namen, den Grund des Anrufs und die Nummer, unter der er zu erreichen war, aufs Band zu sprechen. Sein Anruf werde appena possibile beantwortet.
»Guten Morgen, Dottoressa«, begann er nach dem Piepton. »Hier spricht Commissario Guido Brunetti. Es geht um den
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