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Brunetti 04 - Vendetta

Brunetti 04 - Vendetta

Titel: Brunetti 04 - Vendetta Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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durchaus möglich, Signor Lotto, aber wir möchten gern mit Ihrer Schwester sprechen, und sei es nur, um andere Möglichkeiten auszuschließen und uns ganz auf die Raubmordtheorie konzentrieren zu können.«
    »Was für andere Möglichkeiten?« fragte Lotto ungehalten. »Ich kann Ihnen versichern, daß es im Leben meines Schwagers nichts Ungewöhnliches gab.«
    »Daran zweifle ich nicht im mindesten, Signor Lotto, aber ich muß trotzdem mit Ihrer Schwester sprechen.«
    Eine lange Pause trat ein, endlich fragte Lotto: »Wann?« »Heute nachmittag«, sagte Brunetti und verkniff sich den Zusatz: »Wenn es geht«.
    Wieder eine lange Pause. »Warten Sie bitte«, sagte Lotto und legte den Hörer hin. Er blieb so lange fort, daß Brunetti ein Blatt Papier aus der Schublade nahm und darauf immer wieder das Wort ›Tschechien‹ schrieb. Er war bei der sechsten Version, als Lotto wieder an den Apparat kam und sagte: »Wenn Sie heute nachmittag um vier kommen, wird meine Schwester mit Ihnen sprechen, oder ich.«
    »Vier Uhr«, wiederholte Brunetti und fügte noch ein knappes »Bis dann« hinzu, bevor er auflegte. Aus langer Erfahrung wußte er, wie unklug es war, einem Zeugen gegenüber dankbar zu erscheinen, mochte dieser auch noch so verständnisvoll sein.
    Er warf einen Blick auf seine Uhr und sah, daß es schon weit nach zehn war. Er rief im Ospedale Civile an, aber nachdem er unter drei verschiedenen Anschlüssen mit fünf verschiedenen Leuten gesprochen hatte, wußte er immer noch nichts Genaueres über die Autopsie. Er dachte oft, daß die einzige ungefährliche Maßnahme, der man sich im Ospedale Civile unterziehen konnte, eine Autopsie war: Wenigstens ging der Patient dabei kein Risiko mehr ein.
    Mit solchen Gedanken über die Künste der Medizin verließ Brunetti sein Büro und ging zu seinem Treffen mit Dottoressa Zorzi.

7
    Brunetti wandte sich nach rechts zum Bacino di San Marco und der Basilika, als er aus der Questura trat. Er war verblüfft, plötzlich in der hellen Sonne zu stehen; die morgendliche Neuigkeit von dem Mord an Trevisan hatte ihn so beschäftigt, daß ihm ganz entgangen war, welch einen Tag der Himmel seiner Stadt beschert hatte. Das Licht des frühen Winters durchdrang alles, und jetzt am Vormittag war es so warm, daß er wünschte, er hätte seinen Regenmantel zu Hause gelassen.
    Es waren nicht viele Leute unterwegs, aber alle schienen gehobener Stimmung durch die unerwartete Sonne und Wärme. Wer würde glauben, daß gestern erst Nebel die Stadt eingehüllt hatte und die Vaporetti für die kurze Strecke zum Lido ihr Radar einschalten mußten? Aber hier stand er nun und wünschte sich seine Sonnenbrille und einen leichteren Anzug, und als er aufs Wasser zuging, war er einen Augenblick richtig geblendet vom reflektierten Licht. Gegenüber sah er die Kuppel und den Turm von San Giorgio, gestern waren sie nicht dagewesen, als hätten sich beide über Nacht in die Stadt geschlichen. Wie gerade und schön der Turm aussah, ohne dieses entstellende Gerüst, das in den letzten Jahren den Campanile von San Marco verhüllt und zu einer Art Pagode gemacht hatte, was Brunetti zu der Vermutung veranlaßte, die Stadtverwaltung habe Venedig an die Japaner verkauft, die sich nun auf diese Weise hier etwas heimeliger einzurichten versuchten.
    Brunetti hielt sich rechts in Richtung Piazza und merkte zu seinem größten Erstaunen, daß sein Blick heute freundlich auf den Touristen ruhte, die mit offenen Mündern und ehrfürchtig langsamen Schritten an ihm vorbeischlenderten. Sie konnte sie noch immer in den Bann schlagen, diese alte Hure von einer Stadt, und Brunetti, ihr wahrer Sohn und Beschützer ihrer alten Tage, empfand eine Mischung aus Stolz und Entzücken und hoffte, daß diese Leute ihn sehen und als Venezianer erkennen würden, als der er ein bißchen Erbe und ein bißchen Mitbesitzer all dessen war.
    Die Tauben, die er gewöhnlich dumm und ekelhaft fand, erschienen ihm fast liebenswert, wie sie da zu Füßen ihrer Bewunderer hin und her trippelten. Plötzlich flatterten Hunderte von ihnen ohne ersichtlichen Grund auf, zogen Kreise in der Luft und ließen sich dann wieder an derselben Stelle nieder, um weiterzupicken und herumzutrippeln. Eine stattliche Matrone hatte gleich drei von ihnen auf der Schulter sitzen, das Gesicht abgewandt vor Entzücken oder Ekel, während ihr Mann sie mit einer Videokamera von den Ausmaßen einer Maschinenpistole filmte. Ein paar Meter weiter riß jemand eine Tüte Mais auf

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