Brunetti 04 - Vendetta
Freundlich?«
Sie legte die Hände in den Schoß und senkte den Blick. »Ich glaube schon. Jedenfalls hat er nie irgendwelche Schwierigkeiten mit seinen Leuten erwähnt. Wenn er welche gehabt hätte, bin ich sicher, er hätte mir davon erzählt.«
»Stimmt es, daß die Firma ausschließlich ihm gehörte und die anderen Juristen alle nur angestellt waren?«
»Wie bitte?« fragte sie mit einem erstaunten Blick. »Ich verstehe Ihre Frage nicht ganz.«
»Hat Ihr Mann die Erträge aus seiner Anwaltspraxis mit den anderen Juristen geteilt, oder haben sie als Gehaltsempfänger für ihn gearbeitet?«
Sie sah zu Brunetti hinüber. »Es tut mir leid, aber diese Frage kann ich nicht beantworten, Dottor Brunetti. Ich weiß über Carlos Geschäfte so gut wie nichts. Da müßten Sie mit seinem Steuerberater sprechen.«
»Und wer ist das, Signora?«
»Ubaldo.«
»Ihr Bruder?«
»Ja.«
»Ah, ja«, sagte Brunetti. Und nach einer kurzen Pause fuhr er fort: »Ich möchte Ihnen noch einige Fragen über Ihr Privatleben stellen, Signora.«
»Privatleben?« wiederholte sie, als hätte sie von so etwas noch nie gehört. Als er darauf nichts sagte, nickte sie zum Zeichen, daß er anfangen könne.
»Wie lange waren Sie und Ihr Mann verheiratet?«
»Neunzehn Jahre.«
»Wie viele Kinder haben Sie, Signora?«
»Zwei. Claudio ist siebzehn, Francesca fünfzehn.«
»Gehen beide in Venedig zur Schule, Signora?«
Sie hob abrupt den Kopf bei der Frage. »Warum wollen Sie das wissen?«
»Meine eigene Tochter, Chiara, ist vierzehn. Vielleicht kennen die beiden sich«, antwortete er und lächelte dabei, um zu zeigen, welch unschuldige Frage das gewesen war.
»Claudio ist in einem Schweizer Internat, aber Francesca ist hier. Bei uns.« Sie fuhr sich mit der Hand über die Stirn und korrigierte: »Bei mir.«
»Würden Sie Ihre Ehe als glücklich bezeichnen, Signora?«
»Ja«, antwortete sie wie aus der Pistole geschossen, viel schneller, als Brunetti auf diese Frage geantwortet hätte, auch wenn seine Antwort ebenso ausgefallen wäre. Sie fügte der ihren allerdings nichts hinzu.
»Hatte Ihr Mann irgendwelche besonders guten Freunde oder Geschäftsfreunde?«
Sie blickte bei dieser Frage kurz hoch, dann schnell wieder auf ihre Hände. »Unsere engsten Freunde sind die Nogares, Mirto und Graziella. Er ist Architekt, und sie wohnen am Campo Sant' Angelo. Es sind Francescas Paten. Über Geschäftsfreunde kann ich nichts sagen, da müssen Sie Ubaldo fragen.«
»Und andere Freunde, Signora?«
»Wozu müssen Sie das alles wissen?« fragte sie, und ihre Stimme bekam dabei einen schrillen Ton.
»Ich möchte mehr über Ihren Mann erfahren, Signora.«
»Warum?« Die Frage entfuhr ihr wie ungewollt.
»Solange ich nicht weiß, was er für ein Mensch war, kann ich auch nicht verstehen, warum das passiert ist.«
»Ein Raubmord?« Ihre Frage klang fast sarkastisch.
»Es war kein Raubmord, Signora. Der Täter wollte ihn bewußt töten.«
»Niemand könnte einen Grund gehabt haben, Carlo umbringen zu wollen«, beharrte sie. Brunetti, der diesen Satz schon öfter gehört hatte, als ihm lieb war, sagte nichts.
Signora Trevisan stand unvermittelt auf. »Haben Sie noch Fragen? Wenn nicht, würde ich jetzt gern wieder zu meiner Tochter gehen.«
Brunetti erhob sich ebenfalls und streckte die Hand aus. »Darf ich Ihnen noch einmal dafür danken, daß Sie bereit waren, mit mir zu sprechen, Signora? Ich kann mir vorstellen, wie schmerzlich das alles für Sie und Ihre Familie sein muß, und wünsche Ihnen die Kraft, es durchzustehen.« Während er das alles sagte, klangen die Worte ihm wie Formeln in den Ohren, lauter Dinge, die man so sagte, wenn von wirklichem Leid nichts zu spüren war, und so war es hier.
»Ich danke Ihnen, Commissario«, sagte sie, drückte ihm kurz die Hand und wandte sich zur Tür. Sie hielt sie für Brunetti auf, dann ging sie den Flur entlang auf die Eingangstür zu. Von den übrigen Mitgliedern der Familie war nichts zu sehen.
An der Tür nickte Brunetti der Witwe noch kurz zu, und als er draußen und schon auf der Treppe war, hörte er die Tür leise hinter sich zugehen. Er fand es seltsam, daß eine Frau fast zwanzig Jahre mit einem Mann verheiratet gewesen sein konnte, ohne etwas über seine Geschäfte zu wissen. Zumal wenn ihr Bruder der Steuerberater war. Worüber sprachen sie denn, wenn sie alle miteinander beim Essen saßen? Über Fußball? Alle Leute, die Brunetti kannte, haßten Juristen. Brunetti selbst haßte
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