Brunetti 04 - Vendetta
suche?«
»Fragen Sie mich, ob ich in den Armen einer Sechzehnjährigen sterben möchte, und Sie kriegen dieselbe Antwort«, gab della Corte zurück.
Brunetti verstand das als ein Ja und begann die Liste durchzusehen, wobei er jedesmal innehielt, wenn sein Blick auf 049 fiel, die Vorwahl für Padua. Auf den vier ersten Seiten fand er nichts, aber auf der fünften und dann wieder auf der neunten erschien sie, tauchte dann eine Weile nicht mehr auf und erschien erneut auf der vierzehnten Seite, dort gleich dreimal in einer Woche.
Della Cortes Antwort auf Brunettis Mitteilung war ein tiefes, zweisilbiges Summen. »Ich glaube, ich werde dieses Telefon in Padua mal überwachen lassen.«
»Und ich schicke jemanden sich die Bar ansehen«, sagte Brunetti, jetzt höchst interessiert und begierig darauf, zu erfahren, was das für eine Bar war und wer dort verkehrte, vor allem jedoch darauf erpicht, eine Liste mit Trevisans Ortsgesprächen in die Hand zu bekommen und zu sehen, ob die Nummer der Bar darin auftauchte. Brunettis langjährige und oft unerfreuliche Erfahrungen als Polizist hatten in ihm jede Zufallsgläubigkeit zerstört. Eine Telefonnummer, die zwei Männern bekannt war, welche wenige Tage nacheinander ermordet wurden, war keine Zufälligkeit, war keine statistische Kuriosität, die man kurz kommentierte und dann vergaß. Die Nummer in Padua hatte etwas zu bedeuten, wenn Brunetti auch noch nicht wußte, was, und er war sich plötzlich ganz sicher, daß er auch der Nummer dieser Bar in Mestre auf der Liste mit Trevisans Ortsgesprächen wieder begegnen würde.
Er versprach della Corte, ihn anzurufen, sobald er etwas über den Anschluß in Mestre wisse, dann drückte er kurz auf die Gabel und wählte Vianellos Nummer. Als der Sergente abnahm, bat Brunetti ihn zu sich.
Wenige Minuten später kam Vianello herein. »Trevisan?« fragte er und sah Brunetti mit offener Neugier an.
»Ja. Ich hatte eben einen Anruf von der Polizei in Padua, wegen Rino Favero.«
»Der Steuerberater, der für den Gesundheitsminister gearbeitet hat?« fragte Vianello. Und als Brunetti nickte, platze es regelrecht aus Vianello heraus: »Das sollten die alle machen.«
Brunetti sah verblüfft auf. »Was sollten alle machen?«
»Sich umbringen, die ganze Saubande.« So plötzlich der Ausbruch gekommen war, ebbte er wieder ab, und Vianello ließ sich auf dem Stuhl vor Brunettis Schreibtisch nieder.
»Was war denn das?« wollte Brunetti wissen.
Statt einer Antwort hob Vianello die Schultern und machte eine wegwerfende Handbewegung.
Brunetti wartete.
»Der Leitartikel im Corriere von heute morgen«, erklärte Vianello schließlich.
»Und, was stand da?«
»Daß wir Mitleid mit diesen armen Männern haben sollten, in den Selbstmord getrieben durch die Schande und das Leid, das man ihnen antut. Die Richter sollten sie aus den Gefängnissen lassen und ihren Familien wiedergeben. Den Rest weiß ich nicht mehr; aber mir ist schon davon schlecht geworden.« Brunetti schwieg weiter, und Vianello fuhr fort: »Wenn einer ein Portemonnaie klaut und dafür ins Gefängnis kommt, lesen wir keine Leitartikel, jedenfalls nicht im Corriere, die damit anfangen, daß er freigelassen werden soll und wir Mitleid mit ihm haben müßten. Und was diese Schweine alles gestohlen haben, weiß nur Gott allein. Das sind Ihre Steuern. Meine. Milliarden, Tausende von Milliarden.« Als Vianello plötzlich merkte, wie laut er geworden war, wiederholte er die Handbewegung von vorhin, wie um seine Wut zu verscheuchen, und fragte mit wesentlich gemäßigterer Stimme: »Was ist mit Favero?«
»Es war kein Selbstmord«, sagte Brunetti.
Vianellos Blick war ehrlich überrascht. »Was ist passiert?« fragte er. Sein Ausbruch war offenbar vergessen.
»Er hatte so viel Schlafmittel im Leib, daß er unmöglich noch hätte fahren können.«
»Wieviel?« wollte Vianello wissen.
»Vier Milligramm«, antwortete Brunetti, und bevor Vianello ihm erklären konnte, daß dies wohl kaum eine hohe Dosis sei, ergänzte er: »Rohypnol.« Vianello wußte so gut wie Brunetti, daß vier Milligramm Rohypnol sie beide für die nächsten anderthalb Tage in Tiefschlaf versetzen würden.
»Welche Verbindung gibt es zu Trevisan?«
Wie Brunetti hatte auch Vianello längst den Glauben an Zufälle verloren, und so lauschte er gebannt der Geschichte von der Telefonnummer, die beide Männer gekannt hatten.
»In der Nähe vom Bahnhof?« fragte Vianello. »Via Fagare?«
»Ja. Die Bar heißt
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