Brunetti 04 - Vendetta
Wohnung des jungen Mannes erfolgt, und als der Verdächtigte in der Questura ankam, waren sein linker Arm und seine Nase gebrochen. Topa beharrte darauf, der Junge habe ihn bei einem Fluchtversuch angegriffen; die Version des jungen Mannes war, daß Topa ihn auf dem Weg zur Questura in eine Seitengasse gezerrt und zusammengeschlagen habe.
Der Kollege, der in der Nacht Dienst gehabt hatte, versuchte erfolglos, den Blick zu beschreiben, den Topa dem Festgenommenen zuwarf, als der seine Version der Geschichte vorbrachte. Der junge Mann wiederholte sie nicht, und es gab auch nie eine offizielle Beschwerde. Aber eine Woche später drang aus Vice-Questore Pattas Büro die Kunde, daß es langsam Zeit für den Sergente wäre, sich pensionieren zu lassen, was dieser auch tat, womit er einen Teil seiner Pension einbüßte. Der junge Mann wurde zu zwei Jahren Hausarrest verurteilt. Topa, der eine siebenjährige Enkelin hatte, verlor nie ein Wort über die Festnahme, seine Pensionierung oder die Ereignisse, die damit zusammenhingen.
Vianello übersah geflissentlich Brunettis Blick und fragte: »Soll ich ihn anrufen?«
Brunetti zögerte einen Moment und erklärte dann höchst unliebenswürdig: »Also gut.«
Vianello hütete sich zu lächeln. »Er kommt erst um acht von der Arbeit. Ich rufe ihn dann an.«
»Arbeit?« fragte Brunetti, obwohl er wußte, daß er das eigentlich nicht sollte. Das Gesetz verbot es pensionierten Polizisten zu arbeiten, sonst verwirkten sie ihre Pension.
»Arbeit«, wiederholte Vianello, sagte aber nichts weiter. Er stand auf. »Noch etwas, Commissario?«
Brunetti erinnerte sich, daß Topa über sieben Jahre lang Vianellos Partner gewesen war und sein Sergente den Dienst hatte quittieren wollen, als Topa in den Ruhestand gezwungen wurde. Nur Brunettis entschiedener Widerstand hatte ihn davon abbringen können. Brunetti hatte Topa nie für einen Menschen gehalten, für den sich ein hoher moralischer Einsatz lohnte.
»Nein, nichts weiter. Vielleicht könnten Sie auf dem Weg nach unten bei Signorina Elettra vorbeigehen und sie bitten, den Telecom-Leuten etwas Dampf zu machen, damit sie sich mit der Liste von Trevisans Ortsgesprächen beeilen.«
»Die Pinetta-Bar ist nicht gerade die Adresse, wo ein Anwalt für internationales Recht anrufen würde«, sagte Vianello.
Es war auch keine Adresse, die ein erfolgreicher Steuerberater anrufen würde, aber Brunetti behielt das lieber für sich. »Wir werden es aus den Listen ersehen«, meinte er gleichmütig. Vianello wartete, doch als Brunetti nichts weiter sagte, ging er in sein eigenes Büro hinunter und überließ seinen Chef den Spekulationen darüber, weshalb reiche und erfolgreiche Männer öffentliche Telefone anriefen, vor allem an einem so verrufenen Ort wie der Pinetta-Bar.
13
Das Abendessen im Hause Brunetti wurde belebt, Brunetti fiel kein netteres Wort dafür ein, durch eine hitzige Debatte zwischen Chiara und ihrer Mutter, die dadurch ausgelöst wurde, daß Chiara ihrem Vater erzählte, sie habe ihre Mathematikhausaufgaben heute bei der besten Freundin von Francesca Trevisan gemacht.
Bevor Chiara weiterreden konnte, schlug Paola unvermittelt mit der flachen Hand auf den Tisch. »Ich will nicht mit einer Spionin unter einem Dach leben«, fuhr sie ihre Tochter an.
»Ich bin keine Spionin«, entgegnete Chiara scharf. »Ich arbeite für die Polizei.« Und an Brunetti gewandt: »Nicht wahr, papà?«
Brunetti antwortete darauf lieber nicht, sondern griff nach der fast leeren Flasche Pinot Noir.
»Stimmt doch, oder?« hakte Chiara nach.
»Es spielt keine Rolle«, meinte ihre Mutter, »ob du für die Polizei arbeitest oder nicht. Du kannst nicht hingehen und einfach aus deinen Freunden Informationen herauslocken.«
»Aber das tut papà doch bei seinen Freunden auch immer. Heißt das, er ist ein Spion?«
Brunetti nippte an seinem Wein und spähte über den Rand des Glases zu seiner Frau hinüber, neugierig, was sie darauf antworten würde.
Paola sah ihn an, sprach aber zu Chiara. »Es geht nicht darum, ob er seinen Freunden Informationen entlockt, sondern daß sie dabei wissen, wer er ist und warum er es tut.«
»Also, meine Freunde wissen auch, wer ich bin, und sie sollten sich denken können, warum ich es tue«, erklärte Chiara, deren Wangen sich langsam röteten.
»Das ist nicht dasselbe, und du weißt es«, antwortete Paola.
Chiara murmelte etwas, was für Brunetti klang wie »Ist es doch«, aber sie hielt den Kopf dabei über ihren
Weitere Kostenlose Bücher