Brunetti 04 - Vendetta
und ich glaube, das hier ist Titan«, sagte er, indem er die Bügel noch einmal zu einem fürchterlichen Gebilde verdrehte, plötzlich losließ und zusah, wie sie wieder in die ursprüngliche Form sprangen, »dann kosten sie so viel.« Brunetti begann übers ganze Gesicht zu strahlen und sah die Brille an, als hätte sie sich in eine Million Lire zurückverwandelt, die er behalten dürfte.
»Was grinsen Sie so?« fragte della Corte.
»Bei Brillengestellen, die eine Million kosten«, erklärte Brunetti, »vor allem solchen, die aus Japan importiert sind, müßte sich leicht die Herkunft feststellen lassen.«
Diesmal erschien die Million Lire in della Cortes Lächeln.
21
Es war Brunettis Vorschlag, mit der Brille zu einem Optiker zu gehen und die Gläser messen zu lassen, um so die Besitzerin leichter ausfindig machen zu können. Da das Gestell nicht nur teuer, sondern auch importiert war, hätte das eigentlich sowieso nicht schwer sein dürfen, aber zum einen konnte della Corte, der die Anweisung bekommen hatte, Faveros Tod als Selbstmord zu behandeln, die Suche nach dem Optiker, der die Brille verkauft hatte, nur in seiner Freizeit betreiben, zum anderen war die Brille möglicherweise woanders als in Padua gekauft worden.
Brunetti tat, was er konnte, indem er einen seiner jüngeren Mitarbeiter bei allen Optikern in der Gegend Mestre-Venedig anrufen und nachfragen ließ, ob sie solche Gestelle führten, und wenn ja, ob sie schon einmal eines mit Gläsern dieser Stärke verkauft hätten. Dann widmete er seine Aufmerksamkeit wieder dem Dreieck Trevisan-Lotto-Martucci, wobei sein Interesse vor allem den Überlebenden galt, die auf irgendeine Weise von Trevisans Tod profitieren konnten. Die Witwe würde wahrscheinlich erben, und Martucci erbte womöglich die Witwe. Schwierig war es allerdings, den Mord an Lotto in einem der Modelle unterzubringen, die Brunetti im Zusammenhang mit Martucci und Signora Trevisan vorschwebten. Er zweifelte nicht einen Augenblick daran, daß Eheleute oft Mordgedanken gegeneinander hegten und sie mitunter auch ausführten, aber er konnte sich nur sehr schwer vorstellen, daß eine Schwester ihren Bruder umbrachte. Ein Ehemann ist zu ersetzen, sogar Kinder, aber einen Bruder kann man von seinen betagten Eltern nicht mehr erwarten. Dieser Wahrheit hatte Antigone ihr Leben geopfert. Brunetti merkte, daß er noch einmal mit Signora Trevisan und Avvocato Martucci sprechen mußte, und er stellte es sich interessant vor, mit beiden gleichzeitig zu sprechen und zu sehen, was dabei wohl herauskam.
Bevor er jedoch diesbezüglich etwas unternahm, wandte er sich den Papierstapeln auf seinem Schreibtisch zu. Wie versprochen, lag dort die Liste mit Trevisans Klienten, sieben engbeschriebene Seiten mit Namen und Adressen, streng nach dem Alphabet und somit streng neutral geordnet. Er überflog kurz die Spalten. Bei einigen Namen pfiff er leise: Wie es aussah, hatte Trevisan sich bei den reichsten Bürgern der Stadt eine Vertrauensstellung erobert, ebenso bei denen, die als ihr Adel galten. Brunetti blätterte zur ersten Seite zurück und begann die Namen sorgfältig zu lesen. Er wußte, daß die Aufmerksamkeit, die er ihnen widmete, für einen Nichtvenezianer wie nüchterne Betrachtung aussehen würde; für den jedoch, der mit den inzestuösen Gerüchten und Kabalen dieser Stadt aufgewachsen war, wäre zu erkennen, daß jedem Namen, den er las, nichts als Klatsch, Schimpf und üble Nachrede anhaftete. Da war Baggio, der Hafendirektor, ein Mann, der an Macht gewöhnt war und rücksichtslosen Gebrauch von ihr machte. Da war Seno, Besitzer der größten Glasmanufaktur auf Murano und Arbeitgeber von über dreihundert Leuten, ein Mann, dessen Konkurrenten offenbar alle dasselbe Pech mit Streiks und ungeklärten Bränden hatten.
Und da war Brandoni, Conte Brandoni, dessen immenser Reichtum ebenso dunklen Ursprungs war wie sein Titel.
Einige Leute auf dieser Liste standen in bestem, ja makellosem Ruf; was Brunetti eigenartig anmutete, war die bunte Mischung: die Ehrenwerten in engster Nachbarschaft mit den Zwielichtigen, die Hochgeachteten mit den Fragwürdigen. Er blätterte zum F zurück und suchte den Namen seines Schwiegervaters, aber Conte Orazio Falier war nicht aufgeführt. Brunetti legte die Liste beiseite. Er wußte, daß nichts anderes übrigblieb, als sie alle zu befragen, einen nach dem anderen, und schalt sich, weil er solche Hemmungen hatte, seinen Schwiegervater anzurufen und ihn zu fragen,
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