Brunetti 04 - Vendetta
»Gehört das Ihnen?«
»Ja.«
»Seit wann?«
»Seit drei Jahren. Ich mußte über vier Jahre sparen, um den früheren Besitzern eine Anzahlung leisten zu können. Aber jetzt gehört es mir. Ein weiterer Grund, warum ich Ärger aus dem Weg gehen wollte.«
»Obwohl Sie nichts zu verbergen haben?«
»Wenn ich ehrlich sein darf, Commissario, ich habe noch nie die Erfahrung gemacht, daß staatliche Behörden sich besonders dafür interessieren, ob man etwas zu verbergen hat oder nicht. Ganz im Gegenteil. Und da ich über Signor Faveros Tod nichts Näheres weiß, bin ich zu dem Schluß gekommen, daß ich der Polizei keine sachdienlichen Hinweise geben kann, und habe nicht angerufen.«
»Worüber haben Sie sich abends beim Essen unterhalten?«
Sie blickte zur Seite, offenbar um sich den Abend ins Gedächtnis zu rufen. »Worüber Freunde so reden. Seine Geschäfte. Meine. Seine Kinder.«
»Seine Frau?«
Wieder kniff sie mit deutlichem Unmut die Lippen zusammen. »Nein, über seine Frau haben wir nicht gesprochen. Das hätten wir beide nicht sehr geschmackvoll gefunden.«
»Worüber haben Sie noch gesprochen?«
»Nichts, woran ich mich erinnern könnte. Er sprach davon, daß er sich ein neues Auto kaufen wolle und nicht wisse, was für eines, aber dabei konnte ich ihm nicht helfen.«
»Weil Sie selbst nicht Auto fahren?«
»Man braucht ja hier keines, oder?« fragte sie lächelnd. »Und ich verstehe nichts von Autos. Wie die meisten Frauen.«
Brunetti fragte sich, warum sie so offenkundig an sein männliches Überlegenheitsgefühl appellierte; es schien ihm nicht angemessen für eine Frau, die jedem Mann so mühelos ebenbürtig war.
»Wie der Ober in dem Restaurant sagt, in dem Sie waren, hat Favero Ihnen während des Essens irgendwelche Papiere gezeigt.«
»Ach ja. Da habe ich dann meine Brille hervorgeholt. Ich brauche sie zum Lesen.«
»Was waren das für Papiere?«
Sie schwieg, entweder um sich zu erinnern, oder um sich etwas auszudenken. »Es war der Prospekt eines Unternehmens, in das ich investieren sollte. Da mein Reisebüro Gewinn abwirft, meinte er, ich solle das Geld ›für mich arbeiten lassen‹ - das waren seine Worte. Aber ich war nicht interessiert.«
»Wissen Sie noch, was das für ein Unternehmen war?«
»Nein, leider nicht. Für so etwas interessiere ich mich nicht besonders.« Brunetti hatte da seine Zweifel. »Ist das wichtig?« fragte sie.
»Wir haben ziemlich viele Unterlagen im Kofferraum seines Wagens gefunden«, log Brunetti, »und möchten irgendwie beurteilen können, ob die einen oder anderen von besonderer Bedeutung sind.«
Er sah, daß sie schon nach der Art dieser Unterlagen fragen wollte, sich aber dann eines Besseren besann.
»Können Sie sich an irgend etwas Besonderes von diesem Abend erinnern? Hatten Sie den Eindruck, daß er sich Sorgen machte oder über irgend etwas aufgebracht war?« Brunetti mußte sich sagen, daß nahezu jeder sich jetzt doch verwundert fragen würde, wieso er so lange gebraucht hatte, um zu dieser Frage zu kommen.
»Er war stiller als sonst, aber das konnte daran liegen, daß er so viel gearbeitet hatte. Er hat ein paarmal erwähnt, daß er viel zu tun hatte.«
»Hat er von etwas Bestimmtem gesprochen?«
»Nein.«
»Und nach dem Essen, wohin sind Sie da gegangen?«
»Er hat mich zum Bahnhof gefahren, und ich bin nach Venedig zurückgekommen.«
»Mit welchem Zug?«
Sie dachte kurz nach, bevor sie antwortete. »Ich glaube, ich bin gegen elf Uhr hier angekommen.«
»Der gleiche Zug wie Trevisan«, meinte Brunetti und sah sofort, daß der Name ihr etwas sagte.
»Der Mann, der letzte Woche ermordet wurde?« fragte sie nach einer kurzen Pause.
»Ja. Kannten Sie ihn?« erkundigte sich Brunetti.
»Er war Kunde bei uns. Wir haben seine Reisen organisiert, für ihn und seine Mitarbeiter.«
»Ist das nicht merkwürdig?« fragte Brunetti.
»Was soll merkwürdig sein?«
»Daß gleich zwei Männer, die Sie kannten, in einer Woche gestorben sind.«
Ihr Ton war kühl und desinteressiert. »Nein, das finde ich nicht besonders merkwürdig, Commissario. Sie wollen doch sicher nicht andeuten, daß es irgendeine Verbindung zwischen den beiden gibt?«
Statt zu antworten, stand Brunetti auf. »Vielen Dank, daß Sie mir Ihre Zeit geopfert haben, Signora Ceroni«, sagte er und reichte ihr über den Schreibtisch die Hand.
Auch sie erhob sich und kam mit anmutigen Bewegungen um ihren Schreibtisch herum. »Ich muß mich bei Ihnen bedanken, daß Sie sich
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