Brunetti 04 - Vendetta
Brille aus dem Paduaner Restaurant stammte. Vianello hielt seine Sprechmuschel zu, der Ton verstummte, dann meldete sich die Stimme des Sergente wieder, gepreßt vor Wut oder noch Schlimmerem. »Ich bin gleich oben, Dottore«, sagte er und legte auf.
Als der Sergente eintrat, war sein Gesicht immer noch rot, und Brunetti wußte aus langer Erfahrung, daß es die Nachwehen großer Wut waren. Vianello schloß leise die Tür hinter sich und kam an Brunettis Schreibtisch. »Riverre«, sagte er zur Erklärung. Der Name war der Fluch seines Lebens, eigentlich sogar der gesamten Questura.
»Was hat er getan?«
»Er hat gestern den Optiker gefunden und ihn sich notiert, aber dann hat er den Zettel einfach auf seinem Schreibtisch liegen lassen, bis ich vorhin danach fragte.« Wäre Brunetti in besserer Stimmung gewesen, hätte er wahrscheinlich jetzt gespöttelt, daß Riverre sich diesmal immerhin eine Notiz gemacht hatte, aber im Moment brachte er weder die Geduld noch den Humor dafür auf. Und lange Erfahrung hatte beide gelehrt, daß Riverres bodenlose Inkompetenz jeden Kommentar überflüssig machte.
»Welcher Optiker ist es?«
»Carraro, in der Calle della Mandola.«
»Hat er den Namen des Kunden?«
Vianello biß sich auf die Unterlippe und ballte unwillkürlich die Fäuste. »Nein. Riverre hat sich mit der Feststellung begnügt, daß die Brille mit der entsprechenden Gläserstärke dort verkauft wurde. Das sei sein Auftrag gewesen, sagt er, und den habe er erfüllt.«
Brunetti nahm das Telefonbuch aus seinem Schreibtisch und fand schnell die Nummer. Als der Optiker sich meldete, sagte er gleich, er habe mit einem weiteren Anruf der Polizei schon gerechnet, und gab Brunetti unverzüglich den Namen und die Adresse der Frau, an die er die Brille verkauft hatte. Seinem Ton war zu entnehmen, daß er glaubte, die Polizei habe nichts anderes im Sinn, als ihr die Brille zurückzugeben, und Brunetti tat nichts, um diesen Irrtum aufzuklären.
»Sie werden sie aber wahrscheinlich nicht zu Hause antreffen«, meinte Dr. Carraro noch. »Sie wird wohl bei der Arbeit sein.«
»Und wo wäre das, Dottore?« fragte Brunetti in fürsorglichstem Ton.
»Sie hat ein Reisebüro im Univiertel, irgendwo auf halbem Weg zwischen der Universität und diesem Teppichgeschäft.«
»Ach ja, das kenne ich«, sagte Brunetti, der sofort ein mit Postern vollgehängtes Schaufenster vor sich sah, an dem er schon unzählige Male vorbeigegangen war. »Vielen Dank, Dottore. Ich werde dafür sorgen, daß sie ihre Brille zurückbekommt. «
Brunetti legte auf und sah Vianello an. »Regina Ceroni. Sagt Ihnen der Name etwas?« fragte er.
Vianello schüttelte den Kopf.
»Sie hat ein Reisebüro im Univiertel.«
»Soll ich mitkommen?« fragte Vianello.
»Nein, ich denke, ich gehe vor dem Mittagessen dort vorbei und bringe Signora Ceroni ihre Brille.«
Brunetti stand im novemberlichen Nieselregen und betrachtete den sonnenüberfluteten Strand. Zwischen zwei riesigen Palmen war eine Hängematte gespannt, und darin lag eine junge Frau, die, soviel er sah, nur mit dem Unterteil ihres Bikinis bekleidet war. Hinter ihr brachen sich sanfte Wellen auf weißem Sand, und ein azurblaues Meer erstreckte sich bis zum fernen Horizont. Das Ganze war für lumpige 1.800.000 Lire die Woche zu haben, Doppelzimmer, Flug inbegriffen.
Er stieß die Tür auf und trat in das Reisebüro. Eine hübsche junge Frau mit dunklem Haar saß vor einem Computer. Sie blickte auf und lächelte freundlich.
»Buon giorno«, sagte er, ebenfalls lächelnd. »Ist Signora Ceroni da?«
»Und wen darf ich melden?«
»Signor Brunetti.«
Sie hob die Hand, was »Moment bitte« hieß, drückte noch ein paar Tasten und stand dann auf. Links von ihr begann der Drucker zu rattern und spuckte etwas aus, was wie ein Flugticket aussah.
»Ich sage ihr, daß Sie da sind, Signor Brunetti.« Damit drehte sie sich um und ging nach hinten zu einer Tür, die geschlossen war. Sie klopfte und ging hinein. Sekunden später kam sie wieder und bedeutete Brunetti hineinzugehen.
Das hintere Büro war wesentlich kleiner als das vordere, aber was dem Raum an Größe fehlte, machte er durch seine geschmackvolle Einrichtung mehr als wett. Der Schreibtisch, Teakholz, soweit Brunetti es beurteilen konnte, war auf Hochglanz poliert, und das Fehlen von Schubladen demonstrierte, daß kein Nutzdenken sein Vorhandensein rechtfertigte. Der Teppich, ein Isfahan aus blaßgoldener Seide, war so ähnlich wie der, den Brunetti
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