Brunetti 04 - Vendetta
die Mühe gemacht haben, mir meine Brille zurückzubringen.«
»Das war unsere Pflicht«, sagte er.
»Ich danke Ihnen trotzdem für Ihre Mühe.« Sie ging mit ihm zur Tür, öffnete sie und hielt sie für ihn auf. Im vorderen Büro saß die junge Frau noch immer an ihrem Schreibtisch, und aus dem Drucker hing jetzt eine lange Fahne Tickets. Signora Ceroni begleitete ihn bis zur Eingangstür. Brunetti öffnete sie, drehte sich um, gab ihr noch einmal die Hand und machte sich auf den Heimweg. Signora Ceroni blieb vor dem Sandstrand stehen, bis er um die Ecke war.
24
Als Brunetti wieder in die Questura kam, schaute er zuerst bei Signorina Elettra hinein und diktierte ihr den Brief an Giorgio, er gebrauchte den Namen schon so selbstverständlich wie den eines alten Freundes, in dem er sich für einige »Bearbeitungsfehler« innerhalb der Questura entschuldigte. Der Brief würde Giorgios Verlobter und ihrer Familie hoffentlich genügen und war gleichzeitig so nichtssagend formuliert, daß man Brunetti keinen Strick daraus drehen konnte.
»Da wird er sich aber freuen«, sagte Signorina Elettra, den Blick auf ihrem Stenogrammblock.
»Und das Festnahmeprotokoll?« fragte Brunetti.
Sie sah zu ihm auf, ihre Augen zwei klare Seen. »Festnahme?« Sie nahm einen Computerausdruck, der neben ihrem Stenoblock lag, und reichte ihn Brunetti. »Ihr Brief dürfte ihm das hier vergüten.«
»Die Nummern in Faveros Adreßbuch?« fragte er.
»Ebendiese«, antwortete sie, ohne ihren Stolz verhehlen zu können.
Brunetti lächelte. Ihre Genugtuung war ansteckend. »Haben Sie mal reingeschaut?« fragte er.
»Nur ganz kurz. Er hat die Namen und Adressen, und ich glaube, er ist auch an die Daten und Uhrzeiten aller Gespräche herangekommen, die von Venedig oder Padua aus dorthin gegangen sind.«
»Wie macht er das nur?« fragte Brunetti voll aufrichtiger Ehrfurcht vor Giorgios Fähigkeit, der Telecom solche Informationen zu entlocken; die Akten der Geheimdienste waren leichter zu knacken.
»Er ist ein Jahr lang in den USA an Computern ausgebildet worden und hat sich dort einer Gruppe sogenannter Hacker angeschlossen. Zu denen hat er immer noch Kontakt. Sie tauschen untereinander Informationen darüber aus, wie so etwas geht.«
»Macht er das während der Arbeitszeit, über die Leitungen der Telecom?« fragte Brunetti, dessen Ehrfurcht und Dankbarkeit so groß waren, daß sie jeden Gedanken, Giorgios Tun könnte ungesetzlich sein, völlig verdrängten.
»Natürlich.«
»Bravo«, sagte Brunetti mit der ganzen Inbrunst dessen, bei dem die Telefonrechnung nie mit dem tatsächlichen Gebrauch dieses Instruments übereinstimmte.
»Die verteilen sich über die ganze Welt, diese Hacker«, fuhr Signorina Elettra fort, »und ich glaube, es gibt nicht vieles, was man vor ihnen verstecken kann. Giorgio sagt, er hat sich dafür mit Leuten in Ungarn und Kuba in Verbindung gesetzt, und noch irgendwo. Gibt es in Laos Telefon?«
Brunetti hörte nicht mehr zu, denn er überflog bereits die langen Spalten mit Uhrzeiten und Datum, Orten und Namen. Allerdings drang Pattas Name doch an sein Ohr: »... möchte Sie sprechen.«
»Später«, sagte er, und damit verließ er Signorina Elettras Büro und ging, unentwegt lesend, in sein eigenes hinauf. Dort angekommen, schloß er die Tür und trat in das Licht, das durchs Fenster hereinfiel. Da stand er in der Pose eines römischen Senators aus Cäsars Zeit, die Hände weit ausgebreitet, um eingehend einen langen Bericht aus den fernen Städten des Imperiums zu studieren. Nur daß in diesem Bericht nichts über die Entsendung von Truppen oder die Verschiffung von Öl und Gewürzen stand. Vielmehr war ihm nur zu entnehmen, wann zwei nicht weiter auffällige Italiener eventuell mit Bangkok, Santo Domingo, Belgrad, Manila und etlichen anderen Städten telefoniert hatten, aber er war darum nicht weniger interessant. An den Blatträndern waren mit Bleistift die Standorte der Telefonzellen vermerkt, von denen aus gesprochen worden war. Einige Gespräche waren zwar von Trevisans wie auch von Faveros Büro aus geführt worden, viel mehr aber aus einer öffentlichen Zelle in Padua, die sich in derselben Straße befand wie Faveros Büro, und noch mehr aus einer anderen in einer kleinen calle, die hinter Trevisans vorbeiführte.
Ganz unten standen die Namen, unter denen die Anschlüsse registriert waren. Drei, darunter auch der in Belgrad, gehörten zu Reisebüros, der in Manila zu einer Firma, die sich Euro-Employ
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