Brunetti 07 - Nobiltà
gesagt, er brauche keine Konsequenzen zu fürchten, wir, wollten nur Bescheid wissen. Da hat er mir erzählt, Roberto hätte sie gebeten, das zu tun um Beachtung von seinem Vater zu bekommen. Das heißt, so hat Roberto es nicht gesagt, aber der Junge sieht es so. Er schien sogar irgendwie Mitleid mit Roberto zu haben.«
Als Vianello sah, dass Brunetti etwas einwerfen wollte, fügte er erklärend hinzu: »Nein, nicht weil er tot ist, oder nicht nur. Es schien ihm für Roberto leid zu tun, dass er solche Sachen machen musste, damit sein Vater ihn beachtete, dass er so einsam war, so verloren.«
Brunetti brummte zustimmend, und Vianello fuhr fort: »Sie haben den Wagen nach Verona gebracht und ihn dort in einem Parkhaus abgestellt. Dann sind sie mit dem Zug nach Hause gefahren. Roberto hat ihnen das Geld dafür gegeben und sie danach sogar noch zum Essen eingeladen.«
»Zur Zeit der Entführung waren sie noch befreundet, oder?«
»Sieht so aus, obwohl dieser - Niccolò Pertusi - ich kenne seinen Onkel, der sagt, er ist ein guter Junge - also, Niccolò meint, dass Roberto in den letzten Wochen vor seiner Entführung irgendwie anders war. Immer müde, keine Spaße mehr, immer das Gejammer, wie schlecht es ihm ging und zu welchen Ärztin er laufen musste«
»Er war erst einundzwanzig«, warf Brunetti ein.
»Ich weiß. Schon eigenartig, nicht? Ich frage mich, ob er wirklich krank war.«
Vianello lachte. »Meine Tante Lucia würde sagen, es war« - und hier legte Vianello einen gespenstischen Unterton in seine Stimme - »eine Vorahnung.«
»Nein«, sagte Brunetti, »für mich hört sich das an, als wäre er wirklich krank gewesen.«
Sie brauchten beide nichts weiter zu sagen.
Brunetti nickte und ging in sein Zimmer hinauf, um das Telefonat zu führen.
Wie üblich vergeudete er zehn Minuten damit, verschiedenen Krankenschwestern und Sekretärinnen zu erklären, wer er war und was er wollte, dann weitere fünf, um dem Spezialisten in Padua, Dottor Giovanni Montini, zu versichern, dass die Informationen über Roberto Lorenzoni benötigt wurden. Weitere Minuten verstrichen, während die Arzthelferin nach Robertos Patientenkarte suchte.
Als sie schließlich gefunden war, bekam Brunetti von dem Arzt nur zu hören, was er schon so oft gehört hatte, dass er allmählich die gleichen Symptome an sich selbst entdeckte: Abgeschlagenheit, Kopfschmerzen und allgemeines Unwohlsein, »Haben Sie je die Ursache dafür herausgefunden, Dottore?« fragte Brunetti. »Solche Symptome sind doch ziemlich ungewöhnlich bei einem Menschen in der Blüte seiner Jugend.«
»Es könnte eine Depression gewesen sein«, gab der Arzt zu bedenken.
»Roberto Lorenzoni schien mir nicht der Typ für Depressionen zu sein, Dottore«, wandte Brunetti ein.
»Vielleicht nicht«, pflichtete der Arzt ihm bei. Dann hörte Brunetti ihn herumblättern. »Nein, ich habe keine Ahnung, was mit ihm los war«, sagte der andere schließlich. »Die Laborergebnisse hätten möglicherweise Aufschluss geben können.«
»Laborergebnisse?« fragte Brunetti.
»Ja, er war Privatpatient und konnte sie bezahlen. Ich hatte eine ganze Reihe von Untersuchungen angeordnet.« Brunetti hätte fragen können, ob Patienten mit denselben Symptomen, die aber über den öffentlichen Gesundheitsdienst liefen, von solchen Untersuchungen ausgenommen wären. Statt dessen fragte er: »Und warum sagen Sie ›hätten Aufschluss geben können‹, Dottore?«
»Ich habe die Ergebnisse nicht in meinen Unterlagen.«
»Wie kommt denn das?«
»Da er sich nicht mehr gemeldet hat, um einen neuen Termin zu vereinbaren, haben wir die Laborergebnisse wahrscheinlich nie abgerufen.«
»Könnte man das jetzt noch tun?«
Das Zögern des Arztes war hörbar. »Das ist eigentlich nicht üblich.«
»Aber könnten Sie die Ergebnisse trotzdem bekommen, Dottore?«
»Ich verstehe nicht, wozu das gut sein soll.«
»Dottore, in der momentanen Situation könnte alles, was wir über den Jungen in Erfahrung bringen, dazu beitragen, dass wir diejenigen finden, die ihn ermordet haben.« Brunetti hatte immer wieder die Erfahrung gemacht, dass Leute, mochten sie gegen das Wort ›Tod‹ auch noch so abgehärtet sein, doch alle in gleicher Weise auf das Wort ›Mord‹ reagierten.
Nach einer langen Pause fragte der Arzt: »Können Sie die Ergebnisse nicht irgendwie auf amtlichem Wege anfordern?«
»Doch, aber das wäre ebenso kompliziert wie langwierig. Sie könnten uns sehr viel Zeit und Papierkram sparen,
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