Brunetti 07 - Nobiltà
Dottore, wenn Sie es täten.«
»Ja, da mögen Sie recht haben«, meinte Dottor Montini, allerdings noch immer recht zögerlich.
»Vielen Dank, Dottore«, sagte Brunetti und nannte ihm die Faxnummer der Questura.
Nachdem der Arzt sich auf diese Weise dazu gedrängt sah, auch noch ein Fax zu schicken, griff er zur einzigen Rache, die ihm einfiel. »Also, bis Ende der Woche«, sagte er und legte auf, bevor Brunetti noch irgend etwas erwidern könnte.
20
Eingedenk Pattas Ermahnung, die Lorenzonis angemessen zu behandeln - was immer das heißen mochte -, wählte Brunetti die Nummer von Maurizios Handy und fragte, ob er am Abend noch einmal mit der Familie sprachen könne.
»Ich weiß nicht, ob meine Tante in der Lage ist, Besuch zu empfangen«, sägte Maurizio zwischen Geräuschen, die sich nach Verkehrslärm anhörten.
»Dann muss ich mit Ihnen und Ihrem Onkel sprechen«, beharrte Brunetti.
»Wir haben doch schon mit Ihnen gesprochen, seit zwei Jahren reden wir mit allen möglichen Polizisten, und was hat es uns gebracht?« fragte der junge Mann, was wohl sarkastisch gemeint war, aber eher traurig klang.
»Ich verstehe, wie Ihnen zumute ist«, sagte Brunetti in dem Bewusstsein, dass dem keineswegs so war, »aber ich brauche noch weitere Informationen von Ihrem Onkel, und von Ihnen auch.«
»Was für Informationen?«
»Über Robertos Freunde. Über alles Mögliche.«
»Zum Beispiel die Firmen der Familie Lorenzoni.«
»Was soll mit den Firmen sein?« fragte Maurizio, diesmal mit erhobener Stimme, um den Hintergrundlärm zu übertönen. Seine nächsten Worte wurden trotzdem von einer Männerstimme überlagert, die offenbar aus einem Lautsprecher kam. »Wo sind Sie eigentlich?« fragte Brunetti.
»Auf dem 82er Boot, kurz vor der Rialto-Brücke«, antwortete Maurizio. Dann wiederholte er seine Frage: »Was soll mit den Firmen sein?«
»Die Entführung könnte damit zu tun haben.«
»Das ist doch Unsinn«, widersprach Maurizio heftig, der Rest ging in der Mitteilung unter, dass der nächste Halt Rialto sei.
»Wann kann ich heute abend kommen?« fragte Brunetti, als hätte Lorenzoni keine Einwände erhoben.
Es folgte eine Pause: Beide hörten die Lautsprecherstimme, diesmal auf englisch, dann sagte Maurizio: »Um sieben«, und trennte die Verbindung.
Der Gedanke, dass die Unternehmen der Lorenzonis bei der Entführung eine Rolle gespielt hatten, war alles andere als Unsinn. Im Gegenteil, ihre Geschäfte waren die Quelle des Reichtums, der den Jungen zum Zielobjekt machte. Nach allem, was Brunetti über Roberto gehört hatte, hielt er es für unwahrscheinlich, dass jemand ihn aus Vergnügen an seiner Gesellschaft entführen würde, oder weil er so ein guter Unterhalter war.
Der Gedanke hatte sich ungebeten eingestellt, aber Brunetti schämte sich, dass er ihn auch nur eine Sekunde lang geduldet hatte. Gütiger Himmel, der Junge war erst einundzwanzig gewesen, und er war durch einen Kopfschuss getötet worden.
Irgendwelche seltsamen Gedankenverbindungen erinnerten Brunetti an etwas, was Paola vor Jahren einmal gesagt hatte, als er ihr erzählte, wie Alvise, der einfältigste Polizist in ganz Venedig, durch die Liebe völlig verwandelt worden war, wie er verzückt von den vielen Vorzügen seiner Freundin geschwärmt hatte - oder seiner Frau, das wusste Brunetti nicht mehr so genau. Er erinnerte sich, wie er schon bei der bloßen Vorstellung eines verliebten Alvise gelacht hatte,' gelacht, bis Paola mit eisiger Stimme sagte: »Nur weil wir klüger sind als die meisten anderen, Guido, müssen unsere Gefühle noch lange nicht edler sein.«
Verlegen hatte er seine Einstellung zu begründen versucht, aber wie immer, wenn es um intellektuelle Redlichkeit ging, war sie unbeugsam geblieben. »Es ist sehr praktisch für uns, zu glauben, dass alle die hässlichen Gefühle wie Hass und Wut in den niederen Rängen zu Hause sind, als hätten diese ein verbrieftes Recht darauf. Kein Wunder also, wenn wir dann Liebe, Freude und alle diese erhabenen Gefühle für uns beanspruchen.« Er hatte aufbegehren wollen, aber sie hatte ihm mit einer Handbewegung das Wort abgeschnitten. »Die Dummen, die Langweiler, die Ungehobelten, sie können Liebe genauso stark empfinden wie wir. Sie verstehen ihre Gefühle nur nicht in so hübsche Worte zu kleiden.«
Ein Teil von ihm wusste, dass sie recht hatte, aber es dauerte Tage, bis er es sich eingestehen konnte. Daran musste er jetzt denken: Mochte der Conte noch so arrogant, die
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