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Brunetti 07 - Nobiltà

Brunetti 07 - Nobiltà

Titel: Brunetti 07 - Nobiltà Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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selbst.
    »Wenn Ihnen doch noch etwas einfällt, rufen Sie mich bitte an.«
    »Es gibt nichts«, sagte der Conte und drückte die Tür zu, bevor Brunetti noch etwas erwidern konnte.
    Brunetti wartete bis nach dem Essen, bevor er sich Robertos Pass näher ansah. Als erstes fiel ihm auf, wie dick er war: Hinten war eine Art Leporello eingeklebt. Brunetti faltete ihn bis auf Armeslänge auseinander und sah sich die vielen Visa in den verschiedenen Sprachen und Formen an. Er drehte das Ganze um und fand auf der Rückseite weitere Stempel. Schließlich faltete er alles wieder zusammen und schlug die erste Seite des Passes auf.
    Seit seiner Ausstellung vor fünf Jahren bis zu Robertos Verschwinden war der Pass jährlich verlängert worden. Er enthielt die üblichen Angaben: Geburtsdatum, Größe, Augenfarbe und Adresse. Brunetti blätterte weiter. Es waren natürlich keine Stempel von EG-Mitgliedsstaaten darin, wohl aber von den USA, gefolgt von Mexiko, Kolumbien und Argentinien. Danach, in dieser zeitlichen Reihenfolge, Polen, Bulgarien und Rumänien, worauf die Chronologie abbrach, als hätten die Grenzbeamten ihren Stempel nur noch auf irgendeine Seite gedrückt, die sie zufällig aufschlugen. Brunetti ging in die Küche, um sich Bleistift und Papier zu holen. Dann begann er Robertos Reisen streng zeitlich aufzulisten. Eine Viertelstunde später hatte er zwar zwei Blätter mit Orten und Einreisedaten gefüllt, aber ziemlich unübersichtlich infolge der vielen Einschübe, die er machen musste, wenn er auf willkürlich gesetzte Stempel stieß.
    Nachdem er alle Daten notiert hatte, schrieb er die Liste noch einmal in der richtigen Reihenfolge ab, und diesmal brauchte er dafür drei Blätter. Das letzte Land, das Roberto bereist hatte, und zwar zehn Tage vor seiner Entführung, war Polen, wo er über den Flughafen Warschau eingereist war. Dem Ausreisestempel konnte man entnehmen, dass er nur einen Tag geblieben war. Davor, drei Wochen vor seiner Entführung, hatte er zwei Länder besucht, deren Namen in kyrillischen Buchstaben angegeben waren, aus denen Brunetti Weißrussland und Tadschikistan herauslas.
    Er ging über den Flur und blieb an der offenen Tür zu Paolas Arbeitszimmer stehen. Sie sah über ihre Brille hinweg zu ihm auf. »Na?«
    »Wie gut kannst du Russisch?«
    »Meinst du sprechen oder kochen?« fragte sie und nahm die Brille ab.
    »Eher lesen«, versetzte er lächelnd. »Kochen könnte ich nämlich höchstens russische Eier, aber beim Lesen liege ich, sagen wir, ziemlich genau zwischen Puschkin und Straßenschildern.«
    »Und Städtenamen?« fragte er.
    Sie streckte die Hand nach dem Pass aus, den er vor sich hochhielt. Er ging zu ihrem Schreibtisch, gab ihn ihr und blieb hinter ihr stehen. Geistesabwesend zupfte er einen Wollfussel von der Schulter ihres Pullovers.
    »Welche?« fragte; Paola und klappte den Pass auf.
    »Hinten, auf der Zusatzseite.«
    Sie blätterte weiter und zog die Seite auf volle Länge heraus.
    »Brest.«
    »Wo liegt das?«
    »In Weißrussland«
    »Haben wir irgendwo einen Atlas?« fragte Brunetti.
    »Ich glaube, in Chiaras Zimmer.«
    Bis er zurückkam, hatte sie die Namen der Städte und Länder auf ein Blatt Papier geschrieben. Als er den Atlas vor ihr auf den Schreibtisch legte, sagte sie; »Bevor wir anfangen, sollten wir nachsehen, in welchem Jahr dieser Atlas erschienen ist.«
    »Warum das?«
    »Viele Namen haben sich geändert. Nicht nur von Ländern, auch von Städten.«
    Sie nahm den Atlas und sah sich das Impressum an. »Vielleicht tut er's ja«, meinte sie. »Letztes Jahr herausgekommen.« Sie schlug das Inhaltsverzeichnis auf, suchte nach Weißrussland und blätterte dann zu einer der Karten zurück.
    Sie betrachteten ein Weilchen gemeinsam die Karte des kleinen Landes zwischen Polen und Großrussland. »Es ist eine der sogenannten abgefallenen Republiken.«
    »Schade, dass so etwas nur bei den Russen geht«, sagte Brunetti, der sich ausmalte, wie herrlich es für Norditalien wäre, wenn es von Rom abfallen könnte.
    Paola, die solche Bemerkungen von ihm gewöhnt war, antwortete nicht. Sie setzte ihre Brille wieder auf und beugte sich über die Karte. Dann legte sie einen Finger auf einen Namen. »Hier ist die eine, An der polnischen Grenze.« Sie ließ den Finger liegen und suchte weiter. Nach ein paar Augenblicken zeigte sie mit der anderen Hand auf einen neuen Punkt. »Und hier ist die zweite. Scheint höchstens hundert Kilometer von der ersten entfernt zu sein.«

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