Brunetti 07 - Nobiltà
er an dem Abend hier bei uns sein wollen.«
»Demnach kann er es nicht gewesen sein«, sagte Brunetti.
»Aber er hätte jemanden dafür bezahlen können«, erwiderte der Conte, und Brunetti bezweifelte nicht, dass er das wirklich glaubte.
»Haben Sie ihm das gesagt?«
Der Conte nickte. »Ich habe gesagt, ich wolle ihm Zeit geben, über meinen Verdacht nachzudenken. Und dass er dann selbst zur Polizei gehen könne.« Der Conte setzte sich noch etwas aufrechter. »Oder handeln wie ein Ehrenmann.«
»Wie ein Ehrenmann?«
»Ja«, antwortete der Conte, als bedürfe das keiner weiteren Erklärung.
»Und?«
»Heute war er den ganzen Tag fort. Aber nicht in der Firma, dort habe ich angerufen und nachgefragt. Am Spätnachmittag kam er dann zu mir ins Zimmer - mit der Flinte, er muss in die Villa gefahren sein, um sie zu holen. Und dann... dann sagte er, ich hätte recht. Er sagte schreckliche Dinge über Roberto, die nicht wahr sind.« Hier vermochte der Conte die Tränen nicht länger zurückzuhalten, sie strömten ihm über die Wangen, aber er versuchte nicht, sie wegzuwischen.
»Er sagte, Roberto sei ein Taugenichts gewesen, ein verwöhnter Playboy, und er, Maurizio, sei der Einzige, der etwas vom Geschäft verstehe, der Einzige, der würdig sei, es zu erben.« Der Conte sah Brunetti an, ob dieser sein Entsetzen darüber verstand, dass er ein solches Monster aufgezogen hatte.
»Und dann kam er mit der Flinte auf mich zu. Zuerst konnte ich es nicht glauben, sowenig wie das, was er gesagt hatte. Aber dann erklärte er, es müsse so aussehen, als ob ich es selbst getan hätte, aus Kummer über Roberto. Da wusste ich, dass es ihm ernst war.« Brunetti wartete.
Der Conte schluckte und wischte sich mit dem Ärmel übers Gesicht, wobei er sich Maurizios Blut über die Wangen schmierte. »Er stellte sich mit der Flinte vor mich hin und drückte sie mir gegen die Brust. Dann stieß er sie mir unters Kinn und sagte, er hätte darüber nachgedacht, und so müsse er es machen.« Der Conte hielt inne, während er sich die schreckliche Szene noch einmal vergegenwärtigte.
»Als er das sagte, muß ich ausgerastet sein. Nein, nicht weil er mich umbringen wollte, sondern weil er so kaltblütig vorging, es alles so genau geplant hatte. Und weil er Roberto das angetan hat.«
Der Conte schwieg, verloren in Erinnerungen. Brunetti musste fragen: »Und dann?«
Der Conte schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht mehr. Ich glaube, ich habe ihn getreten oder gestoßen. Ich weiß nur noch, dass ich die Flinte mit der Schulter von mir weggedrückt habe. Ich hoffte ihn zu Boden zu werfen. Aber dann löste sich ein Schuss, und ich fühlte überall auf mir sein Blut. Und anderes.« Er hielt inne und klopfte heftig an seiner Brust herum, als spritzte das Blut noch einmal gegen ihn. Er blickte auf seine Hände, die jetzt sauber waren. »Dann hörte ich meine Frau durch die Diele kommen, auf das Zimmer zu und meinen Namen rufen. Ich weiß noch, dass ich sie an der Tür stehen sah und auf sie zugegangen bin. Aber sonst erinnere ich mich an nichts mehr, jedenfalls nicht sehr deutlich.«
»Dass Sie uns angerufen haben?«
Der Conte nickte. »Ich glaube, ja. Aber dann waren Sie auf einmal hier.«
»Wie sind Sie und Ihre Frau nach oben gekommen?«
Kopfschütteln. »Keine Ahnung. Wirklich, von dem Moment an, als ich sie an der Tür stehen sah, bis Sie hier hereinkamen, weiß ich nicht mehr viel.«
Brunetti betrachtete den Mann, sah ihn zum erstenmal von allem Beiwerk seines Reichtums und seiner Stellung entblößt.
Was er da sah, war ein hochgewachsener, hagerer alter Mann, das Gesicht tränenverschmiert, das Hemd noch feucht von Menschenblut.
»Wenn Sie sich vielleicht ein wenig säubern wollen«, meinte Brunetti. Etwas anderes fiel ihm nicht ein. Und noch während er es sagte, wusste er, dass es vollkommen gegen die Vorschrift war, dass man den Conte diese Sachen anbehalten lassen musste, bis die Spurensicherung da gewesen war und ihn darin fotografiert hatte. Aber Brunetti fand die Vorstellung so abstoßend, dass er noch einmal sagte: »Vielleicht möchten Sie sich umziehen.«
Zuerst schienen Brunettis Worte den Conte zu verwirren, doch dann blickte er an sich herunter, und Brunetti sah, wie sich bei dem Anblick, den er bot, angewidert sein Mund verzog. »O Dio mio«, murmelte er und erhob sich, schwer auf die Armlehnen seines Sessels gestützt. Betreten stand er da und hielt die Arme vom Körper weg, als fürchte er sich davor, dass
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