Brunetti 09 - Feine Freunde
es dafür irgendwelche Beweise, Signor Gavini?«
»Natürlich nicht«, blaffte der Anwalt. »Die haben jemanden dafür bezahlt. Ein klarer Auftragsmord war das: Der Schuß kam vom Dach eines Hauses auf der anderen Straßenseite. Sogar die hiesige Polizei sagt, daß es ein Auftragsmord gewesen sein muß, denn wer hätte ihn sonst umbringen sollen?«
Brunetti besaß zu wenige Informationen, um solche Fragen beantworten zu können, auch wenn sie nur rhetorisch waren, also sagte er: »Ich bitte Sie, meine Unwissenheit zu entschuldigen, was den Tod Ihres Partners und die Täter betrifft, Signor Gavini. Mein Anruf bei Ihnen gilt einer völlig anderen Sache, aber nach allem, was Sie mir jetzt berichtet haben, frage ich mich, ob es wirklich zwei verschiedene Sachen sind.«
»Wie meinen Sie das?« fragte Gavini. Seine Worte klangen schroff, doch man hörte die Neugier heraus, das Interesse.
»Ich rufe wegen eines Todesfalles hier in Venedig an, der nach Unfall aussieht, aber nicht unbedingt einer gewesen sein muß.« Er wartete auf Gavinis Zwischenfragen, und als keine kamen, fuhr er fort: »Ein Mann ist hier von einem Gerüst gefallen und gestorben. Er arbeitete im Katasteramt, und als er starb, hatte er eine Telefonnummer in der Brieftasche, allerdings ohne Vorwahl. Einer der Anschlüsse, die das sein könnten, ist Ihrer.«
»Wie hieß der Mann?« fragte Gavini.
»Franco Rossi.« Brunetti ließ ihm einen Augenblick Zeit zum Nachdenken, bevor er fragte: »Sagt Ihnen der Name etwas?«
»Nein, tut mir leid.«
»Könnten Sie wohl irgendwie feststellen, ob er für Ihren Kollegen etwas bedeutet hat?«
Gavini ließ ihn mit der Antwort lange warten: »Haben Sie seine Telefonnummer? Ich könnte unser Anrufverzeichnis durchsehen«, meinte er.
»Augenblick«, sagte Brunetti. Er bückte sich und zog die unterste Schreibtischschublade auf. Ihr entnahm er das Telefonbuch und schlug unter Rossi nach. Er fand sieben Spalten Rossis, davon etwa ein Dutzend mit dem Vornamen Franco. Er fand die Anschrift, diktierte Gavini die Telefonnummer, bat ihn zu warten und blätterte weiter zur Stadtverwaltung, um ihm auch die Nummer des Ufficio Catasto durchzugeben. Wenn Rossi so unvorsichtig gewesen war, die Polizei über sein telefonino anzurufen, dann konnte er mit dem Anwalt auch über sein Diensttelefon gesprochen oder auf diesem Apparat von ihm Anrufe bekommen haben.
»Es wird eine Weile dauern, bis ich die Anrufverzeichnisse durchgesehen habe«, sagte Gavini, »und im Vorzimmer wartet ein Klient. Aber sowie er fort ist, rufe ich zurück.«
»Vielleicht könnten Sie Ihre Sekretärin für Sie suchen lassen.«
Gavinis Ton bekam plötzlich etwas übertrieben Förmliches, fast Vorsichtiges. »Nein, das möchte ich doch lieber selbst machen.«
Brunetti sagte, er werde warten, und gab ihm seine Durchwahlnummer, dann legten beide auf.
Ein Telefonanschluß, der schon seit Monaten nicht mehr existierte, eine alte Frau, die sagte, sie kenne keinen Franco Rossi, eine Autovermietung, die keinen Kunden dieses Namens hatte, aber nun der Sozius einer Anwaltskanzlei, der ebenso wie Rossi eines gewaltsamen Todes gestorben war. Brunetti wußte sehr wohl, wieviel Zeit man damit vertun konnte, falschen Fährten nachzugehen und irreführenden Pfaden zu folgen, aber das hier hatte für ihn genau den richtigen Geruch, auch wenn er noch gar nicht wußte, woher der kam oder wohin ihn das führen mochte.
Den Plagen gleich, die einst den Kindern Ägyptens gesandt worden waren, suchten Geldverleiher die Kinder Italiens heim und taten ihnen Leides an. Banken vergaben nur zögernd Kredite, nämlich im allgemeinen nur nach Vorlage von Sicherheiten, die einen Kredit eigentlich unnötig machten. Überbrückungskredite für den Geschäftsmann, dem am Monatsende das Bargeld knapp wurde, oder für den Handelsvertreter, dessen Kunden schleppend zahlten - es gab sie so gut wie nie. Verschärft wurde das alles noch durch eine allgemein schlechte Zahlungsmoral, die schon kennzeichnend für das ganze Land geworden war.
In diese Lücke sprangen, wie jeder wußte, aber nur wenige aussprachen, die Wucherer, gli strozzini, jene zwielichtigen Gestalten, die bereit und in der Lage waren, kurzfristig und ohne große Sicherheiten Geld zu verleihen. Ihre Zinssätze machten jedes Risiko, das sie dabei eingehen mochten, mehr als wett. Und der Begriff Risiko war ohnehin bestenfalls akademisch, denn die strozzini hatten ihre Methoden für den Fall, daß ihre Kunden - wenn »Kunden«
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