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Brunetti 09 - Feine Freunde

Brunetti 09 - Feine Freunde

Titel: Brunetti 09 - Feine Freunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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wir vorhin, und begibt sich dann zum Mittagessen nach Hause, wie wir es in Kürze tun werden.«
    »Und diese beiden?« Sie deutete mit dem Kinn zu dem dünnen Mann und der alten Frau.
    »Sie sieht aus, als käme sie aus einer langen Messe in einer der kleineren Kirchen und wäre auf dem Heimweg zum Mittagessen.«
    »Und er?«
    Brunetti guckte wieder hin. Die beiden waren immer noch in ihr Gespräch vertieft. »Anscheinend versucht sie seine Seele zu retten, und er will nichts davon wissen«, meinte er.
    »Da gibt es nichts mehr zu retten«, sagte Franca, und es überraschte Brunetti sehr, ein solches Urteil aus dem Mund einer Frau zu vernehmen, die er noch nie über irgend jemanden hatte schlecht reden hören. »Sowenig wie bei ihr«, setzte sie in kaltem, unversöhnlichem Ton hinzu.
    Sie wandte sich mit einer halben Drehung wieder der Buchhandlung zu und blickte ins Schaufenster. Mit dem Rücken zu Brunetti sagte sie: »Das sind Angelina Volpato und ihr Mann Massimo, zwei der übelsten Zinswucherer in der Stadt. Keiner weiß, wann sie damit angefangen haben, aber in den letzten zehn Jahren waren sie es, die von den meisten Leuten in Anspruch genommen wurden.«
    Brunetti spürte, daß sich jemand zu ihnen gesellt hatte. Eine Frau war gekommen, um einen Blick ins Schaufenster zu werfen. Franca verstummte. Als die Frau weiterging, fuhr Franca fort: »Die Leute wissen über sie Bescheid, auch daß sie fast jeden Vormittag hier sind. Dann kommen sie her und sprechen mit ihnen, worauf Angelina sie zu sich nach Hause bestellt.« Sie hielt einen Moment inne und fügte hinzu: »Sie ist ein richtiger Vampir.« Erneute Pause. Erst als sie sich wieder beruhigt hatte, sprach sie weiter. »Dorthin bestellt sie dann einen Notar, und ein Vertrag wird aufgesetzt. Sie gibt den Leuten das Geld, und sie übereignen ihr dafür ihre Häuser, ihre Firmen, ihr Mobiliar.«
    »Und die Summe?«
    »Hängt davon ab, wieviel sie jeweils brauchen und für wie lange. Wenn es nur ein paar Millionen Lire sind, verpfänden die Leute dafür ihre Möbel. Bei bedeutenderen Summen, fünfzig Millionen oder mehr, rechnet sie schnell die Zinsen aus - mir haben Leute erzählt, daß sie Zinsen in Sekundenschnelle ausrechnen kann, obwohl sie, wie dieselben Leute mir versichern, Analphabetin ist; ihr Mann ebenso.« Franca hielt hier wieder kurz inne, weil sie vom Thema abgekommen war, dann aber fuhr sie fort: »Wenn es also um einen hohen Betrag geht, müssen die Leute sich verpflichten, ihr bis zu einem bestimmten Datum eine bestimmte Summe zurückzuzahlen oder ihr andernfalls ihr Haus zu übereignen.«
    »Und wenn sie dann nicht zahlen?«
    »Dann bringt ihr Anwalt die Leute vor Gericht, denn sie hat ja den Vertrag, der in Anwesenheit eines Notars unterschrieben wurde.«
    Während sie redete, ohne dabei den Blick von den Büchern im Schaufenster zu heben, erforschte Brunetti sowohl sein Gedächtnis wie sein Gewissen und mußte zugeben, daß ihm von alledem nichts neu war. Die Einzelheiten mochten ihm unbekannt sein, nicht aber die Tatsache an sich, daß sich solche Dinge abspielten. Doch sie gehörten wirklich in den Aufgabenbereich der Guardia di Finanza, jedenfalls bis jetzt, bis zu dem Augenblick, da die Umstände und ein blinder Zufall seine Aufmerksamkeit auf Angelina Volpato und ihren Mann gelenkt hatten, die immer noch da drüben standen, zwei in ihr Gespräch vertiefte Menschen an einem strahlenden Frühlingstag in Venedig.
    »Wieviel nehmen sie?«
    »Kommt darauf an, wie verzweifelt der Kunde ist«, antwortete Franca.
    »Und woher wissen sie das?«
    Sie riß den Blick jetzt endlich von den kleinen Schweinchen in Feuerwehrautos los und sah zu ihm auf. »Das weißt du so gut wie ich: Hier weiß jeder alles. Du brauchst doch nur zu einer Bank zu gehen, um dir Geld zu leihen, und noch am selben Abend wissen es Mitarbeiter der Bank; bis zum nächsten Morgen wissen es deren Familien, und bis zum Nachmittag weiß es die ganze Stadt.«
    Brunetti mußte ihr recht geben. Ob es nun daher kam, daß in Venedig alle Leute miteinander verwandt oder befreundet waren, oder einfach daher, daß diese Stadt in Wirklichkeit nichts weiter als ein Dorf war, jedenfalls konnte sich in dieser engen, inzestuösen Welt kein Geheimnis lange halten. Klar, daß da jede finanzielle Notlage sehr schnell Allgemeinwissen wurde.
    »Was nehmen sie denn an Zinsen?« fragte er noch einmal.
    Sie begann mit der Antwort, hielt inne und sprach dann doch weiter: »Ich habe Leute von zwanzig

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