Brunetti 14 - Blutige Steine
vermutlich mehr wertvolle Edelsteine gesehen hatte als irgend jemand sonst in der Stadt, maß Brunettis Fund mit prüfendem Blick, rührte ihn aber zunächst nicht an. Nach über einer Minute befeuchtete er die Kuppe eines Zeigefingers, tupfte damit eins der grobkörnigen Kristalle vom Taschentuch und leckte vorsichtig daran. »Wieso sind deine Steine mit Salz vermischt?« fragte er.
»Weil sie in einer Packung Salz versteckt waren«, erklärte Brunetti.
Claudio nickte anerkennend. »Brauchst du sie?« fragte er.
»Meinen Sie als Beweismittel?«
»Nein, nein, ich wollte wissen, ob du sie gleich wieder mitnehmen mußt.«
»Ich glaube nicht, nein«, entgegnete Brunetti, der darüber noch gar nicht nachgedacht hatte. »Warum? Was haben Sie denn damit vor?«
»Zuerst muß ich sie eine halbe Stunde in heißem Wasser einweichen, um das Salz abzulösen«, sagte Claudio. »Danach lassen sich Menge und Gewicht der Steine besser bestimmen.«
»Gewicht?« wiederholte Brunetti zweifelnd. »In Gramm und Pfund?«
Claudio, der schon wieder mit den Steinen beschäftigt war, schüttelte den Kopf. »Diamanten werden nicht nach Pfunden tariert - das zumindest solltest du wissen, Guido«, sagte er. Doch es klang weder vorwurfsvoll noch enttäuscht.
»Gut, aber wenn Sie die Steine gewogen haben, können Sie mir dann sagen, was sie wert sind? Oder woher sie stammen?«
Claudio zog sein Kavalierstuch aus der Brusttasche, tupfte den Zeigefinger daran ab und stocherte dann mit ebendem Finger in dem Häuflein herum, das Brunetti vor ihm aufgeschüttet hatte und das er nun mit leichter Hand glättete und einebnete. Dann knipste er eine Schwenkarmleuchte an und stellte den Schirm so ein, daß der Lichtkegel auf die Fläche unmittelbar vor ihm fiel. Als nächstes entnahm er der mittleren Schreibtischlade eine Juwelierpinzette, mit der er drei der größeren Steine - jeweils etwas kleiner als eine Erbse - herauspickte und vor sich auf die Tischplatte legte. Er sah Brunetti nicht einmal an, als er wie beiläufig feststellte: »Vorab kann ich dir sagen, daß diese Steine sehr sorgfältig ausgewählt worden sind.« Brunetti, für den sie immer noch wie Kiesel aussahen, sagte nichts dazu.
Nun holte Claudio aus derselben Schublade eine Juwelierlupe und eine Pendelwaage, neben die er ein schmales Kästchen stellte. Als er es öffnete, sah Brunetti eine Reihe winzig kleiner, zylinderförmiger Messinggewichte. Claudio ließ den Blick darüber gleiten, lächelte kopfschüttelnd und sagte: »Macht der Gewohnheit, daß ich immer noch an diesem altmodischen Ding hänge.« Dann nahm er aus einem Seitenfach eine kleine elektronische Waage und schaltete sie ein. Ein Lämpchen leuchtete auf, und in einem Fenster erschien eine große Null. »Die ist schneller und auch genauer«, erklärte Claudio.
Mit der Pinzette hob er einen der Steine, die er ausgewählt hatte, auf die Waage, drehte sie so, daß er die Gewichtsangabe ablesen konnte, und fügte erst den zweiten, dann den dritten Stein hinzu. Wieder langte er in die Schublade und zog eine schwarzsamtene Unterlage im Din-A5-Format heraus, rückte sie links neben die Waage und legte mit Hilfe der Pinzette die drei Steine darauf ab. Dann nahm er die Lupe zur Hand, und Brunetti sah, wie sein Scheitel sich von links nach rechts neigte, während er die Steine der Reihe nach untersuchte.
Endlich ließ Claudio die Lupe sinken und sah zu Brunetti auf. »Sind das afrikanische?« fragte er.
»Ich glaube, ja.«
Der alte Diamantenhändler nickte zufrieden. Vorsichtig stocherte er in dem Salzhäufchen herum, bis noch einmal drei Steine, alle größer als das erste Trio, im Zentrum der kleinen Kreise lagen, die er mit der Pinzette gezogen hatte. Claudio plazierte sie links neben den ersten und untersuchte auch sie eingehend mit der Lupe.
Als er damit fertig war, deponierte er die Lupe neben dem Taschentuch ab und die langstielige Pinzette parallel zum Rand der Samtunterlage. »Genaues kann ich erst morgen sagen, wenn ich alle Steine gezählt und gewogen habe, Guido. Aber es sieht ganz so aus, als hättest du da ein Vermögen ergattert.«
Ohne sich auf die Frage, die in diesem Satz mitschwang, einzulassen, entgegnete Brunetti: »Und wie groß schätzen Sie dieses Vermögen?«
»Kommt ganz darauf an, wie hoch der Salzanteil ist und ob die kleineren Steine auch so wertvoll sind wie diese hier.« Claudio zeigte auf die sechs Steine, die er geprüft hatte.
»Aber wie können Sie ihren Wert erkennen, solange sie
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