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Brunetti 15 - Wie durch ein dunkles Glas

Brunetti 15 - Wie durch ein dunkles Glas

Titel: Brunetti 15 - Wie durch ein dunkles Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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Bekanntschaften aufzufrischen oder neue zu schließen.
    In der ersten Vitrine, die sich auf staksigen Beinen bis in Brusthöhe erhob, war ein aufrecht stehendes Glasrechteck ausgestellt, kaum größer als ein Exemplar des Espresso und auf einer Seite golden, auf der anderen kobaltblau eingefärbt. Die Oberfläche war strukturiert, aber nicht gleichmäßig, sondern vielmehr so, als wäre jemand mit den Fingern von unten nach oben und wieder zurück durch nassen Ton gefahren und hätte flache Rillen gezogen, in denen zarte Lichtreflexe spielten. Als nächstes folgte ein etwa gleich großes Objekt, das jedoch in Design und Farbgebung, bis hin zum auch hier verwendeten Goldton, vom ersten so verschieden war, wie es ihm dem Format nach glich. Die dritte Vitrine enthielt vier rechteckige Glasblöcke, in die abwechselnd goldene und silberne Fäden eingeschmolzen waren. Lauter ätherisch anmutende Kunstwerke, und alle betörend schön.
    Ausgerechnet auf der dritten Vitrine hatte jemand ein leeres Rotweinglas abgestellt, das Brunetti verärgert entfernte. Der fast körnige Bodensatz trübte wie ein häßlicher roter Fleck die schillernde Eleganz der geschliffenen Skulpturen.
    Die nächste Vitrine zeigte drei der nach Blumen modellierten Vasen, von denen eine schon auf der Einladung abgebildet war; alle in den zartesten Pastelltönen. Nur fand Brunetti sie kleiner als erwartet und auch nicht so fein gearbeitet: Die nachempfundenen Blütenkelche waren im Vergleich zur Natur zu dick; dicker als ein guter maestro sie geblasen hätte. In einer weiteren Vitrine waren noch drei solcher Vasen ausgestellt, wenn auch diesmal in intensiveren, dunklen Farben. Aber die handwerkliche Gestaltung gefiel Brunetti auch hier nicht, und er ging rasch weiter zum nächsten Schaukasten.
    Hier traf er auf schlanke Zylindervasen, die in genau jenen filigran geschliffenen Rand mündeten, den Brunetti bei den anderen vermißt hatte. Die einzelnen Stücke variierten in Höhe und Durchmesser, waren aber alle gleichermaßen harmonisch proportioniert. Die letzte Vitrine endlich versammelte Skulpturen von unbestimmbarer Form: Sie ließen sich mit nichts vergleichen, dienten keinem erkennbaren Zweck, ja, waren offenbar kaum mehr als gläserne Schnörkel und Spiralen, deren farbige Rundungen unaufhörlich in bald helleren, bald dunkleren Tönen changierten.
    »Gefallen sie Ihnen?« fragte eine junge Frau neben Brunetti.
    Er schaute von den bizarren Gebilden auf und nickte lächelnd. »Ja, ich glaube schon.« Als sie sich abwandte, widmete er sich abermals den Objekten und betrachtete sie eingehend, bevor er zur anderen Seite des Plexiglaskastens wechselte, um sich einen neuen Blickwinkel zu verschaffen. Von hinten sahen die Skulpturen wieder ganz anders aus, und Brunetti war nicht sicher, ob er sie ihrer jeweiligen Vorderseite, die er doch gerade erst gründlich studiert hatte, würde zuordnen können.
    Als er aufsah, stand die junge Frau wieder vor ihm, in jeder Hand ein Glas Prosecco. Sie hielt ihm eines hin, und Brunetti nahm es lächelnd entgegen. Da er nun aber zwei Gläser hatte, bückte er sich und stellte das leere auf den Boden an der Wand. Er trank einen Schluck, und als sie sich erkundigte: »Und? Ihr Geschmack?«, da wußte er nicht recht, ob sie den Prosecco meinte oder die Ausstellung.
    »Der Wein ist ausgezeichnet«, sagte er. Was auch stimmte: Für diese Art von Veranstaltung war er wirklich gut. In der Regel gab es zu solchen Anlässen irgendeinen faden Roten in Zweiliterflaschen, und statt des dünnwandigen Glases, das er in der Hand hielt, bekam man die Getränke in Plastikbechern serviert.
    »Und die Skulpturen?« fragte sie.
    »Ich glaube, ich finde sie sehr schön«, sagte er und trank noch einen Schluck.
    »So, so: Sie glauben's nur?«
    »Ja«, bekräftigte Brunetti. »Die Arbeiten hier sind so ganz anders als das, was ich an Glaskunst kenne, und darum muß ich erst ein bißchen nachdenken, bevor ich mir ein Urteil bilde.«
    »Sie machen sich Gedanken über das, was Sie sehen?« fragte die Frau und klang einigermaßen erstaunt. Sie war etwa Ende zwanzig, hatte einen leichten römischen Akzent und eine Nase, die gleichen Ursprungs zu sein schien. Ihre dunklen Augen waren ungeschminkt; nur der Mund wurde von einem tiefroten Lippenstift betont.
    »Das gehört zu meinem Beruf«, versetzte er. »Ich bin Polizist.« Brunetti wußte selbst nicht, welcher Teufel ihn geritten hatte, das zu sagen. Vielleicht war das Publikum schuld daran,

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