Brunetti 15 - Wie durch ein dunkles Glas
vielleicht auch nur Professoressa Amadori nebst Gatten, diesem Typ blasierter Akademiker, unter dem er auf der Universität jahrelang gelitten hatte.
Er nahm noch einen Schluck Prosecco und fragte: »Und was machen Sie beruflich?«
»Ich bin Dozentin an der Universität«, sagte sie.
Jemanden wie diese junge Frau hatte Paola nie erwähnt, aber das hatte nicht unbedingt etwas zu bedeuten: Wenn sie über ihre Arbeit sprach, dann redete Paola eher über Bücher als über die Kollegen. »Für welches Fach?« erkundigte sich Brunetti in einem, wie er hoffte, verbindlichen Ton.
»Angewandte Mathematik«, sagte sie und fügte lächelnd hinzu: »Sie können sich die Frage sparen. Ja, ich find's spannend, auch wenn das nur wenige nachempfinden können.«
Brunetti glaubte ihr und war froh, daß es ihm erspart blieb, höfliches Interesse zu heucheln. Er wies mit seinem Glas auf die Objekte in den beiden Vitrinenreihen. »Und die? Gefallen sie Ihnen?«
»Die rechteckigen, ja; und diese ebenfalls«, sagte sie, »besonders die letzten hier. Ich finde, sie haben so was Friedliches, auch wenn ich nicht weiß, wie ich darauf komme.«
Brunetti unterhielt sich noch ein paar Minuten mit der jungen Frau, dann entschuldigte er sich, weil sein Glas leer war, und holte sich an der Bar noch einen Wein. Als er sich nach Paola umsah, entdeckte er sie am anderen Ende des Raums im Gespräch mit einem Mann, in dem er, hätte er ihn von hinten sehen können, vielleicht Professore Amadori erkannt hätte. Aber ob er es nun war oder nicht, Paolas Gesichtsausdruck genügte, und Brunetti schlängelte sich zwischen den Gästen durch bis an ihre Seite.
»Ah«, rief sie, als er näher trat, »da kommt ja mein Mann! Guido, das ist Professore Amadori, der Gatte einer Kollegin von mir.«
Der Professor nickte Brunetti zu, machte aber keine Anstalten, ihm die Hand zu reichen. »Wie gesagt, Professoressa, was unsere Gesellschaft am meisten belastet, ist der ungebremste Zustrom von Immigranten aus anderen Kulturen. Diese Menschen verstehen nichts von unseren Traditionen, haben keinen Respekt vor ...« Brunetti nippte an seinem Wein, während er vor seinem inneren Auge die Glasobjekte, die er soeben gesehen hatte, Revue passieren ließ: die mit der glattpolierten Oberfläche, deren harmonische Formgebung ihn so fasziniert hatte. Als er sich wieder in das Gespräch einklinkte, war der Professor bei den christlichen Werten angelangt, und Brunetti flüchtete sich in Gedanken zurück zur zweiten Vasengarnitur. Keins der Objekte war angeschrieben gewesen, aber irgendwo lag sicher eine diskrete Mappe in dunklem Einband mit einer Preisliste. Während der Professor sich der puritanischen Arbeitsmoral und der Tugend der Pünktlichkeit zuwandte, ging Brunetti der Frage nach, wo in ihrer Wohnung so eine Glasskulptur hinpassen würde und ob sie sich, auch ohne eine eigene Vitrine dafür anzuschaffen, wirkungsvoll präsentieren ließe.
Wie ein Seehund, der zum Luftholen durch ein Loch im Eis stößt, schaltete Brunetti erneut auf den Monolog des Professors um, zog aber bei den Worten »Unterdrückung der Frau« hastig den Kopf ein und tauchte wieder ab.
Als Sänger hätte der Professor seine ganze Arie in einem Atemzug vortragen können, war sie doch von Anfang bis Ende auf einen Ton gestimmt. Während Brunetti noch rätselte, ob dieser Mann oder seine Frau Paolas Karriere in irgendeiner Weise schaden könnten, fiel ihm ein, daß die Amadoris zumindest auf die seine keinen Einfluß hatten. Also unterbrach er kurz entschlossen den Redefluß des Professors und sagte zu Paola: »Ich brauche noch was zu trinken. Du auch?«
Sie lächelte erst ihn an, dann den verblüfften Professore und antwortete: »Ja. Aber laß mich gehen, Guido.« Oh, sie war mit allen Wasser gewaschen, seine Frau: eine Schlange, eine Viper, ein listiges Wiesel.
»Nein, nein, ich geh schon«, beharrte er, ließ sich dann aber zu einem Kompromiß herbei. »Oder komm mit und laß dir diese junge Frau vorstellen, die mir vorhin ganz unglaublich spannende Sachen über Algorithmen und Theoreme erzählt hat.« Hier wandte er sich mit einer angedeuteten Verbeugung an den Professor, murmelte ein Wort, das »faszinierend«, aber vielleicht auch »halluzinierend« heißen mochte, versicherte, sie würden gleich zurück sein, nahm seine Frau bei der Hand und brachte sie beide fluchtartig in Sicherheit.
Paola wollte etwas sagen, doch er bedeutete ihr mit erhobener Hand, daß sie nichts zu erklären brauche.
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