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Brunetti 15 - Wie durch ein dunkles Glas

Brunetti 15 - Wie durch ein dunkles Glas

Titel: Brunetti 15 - Wie durch ein dunkles Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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hätte.«
    »Aber wie ist das möglich?« fragte sie verständnislos. »Wenn es gar keinen Haftbefehl gab, warum hat man sie dann überhaupt nach Mestre gebracht?«
    Brunetti hatte wenig Lust, sich zu den Fehlleistungen des Polizeibetriebs zu äußern, jedenfalls nicht jetzt, wo der Prosecco in seinem Glas langsam warm wurde und seine Frau sich durch die Menge zu ihm vorarbeitete. Darum sagte er nur: »Offenbar war nicht zu klären, was genau sich abgespielt hatte, und damit war die Anzeige hinfällig.« Zum Glück spürte er, bevor einer der beiden darauf eingehen konnte, auch schon Paola an seiner Seite. »Das ist meine Frau«, erklärte er. Und an Paola gewandt: »Darf ich vorstellen: Assunta De Cal und Marco Ribetti.«
    Paola lächelte, fand genau die richtigen Worte zum Lob der Ausstellung und war entzückt, als sie auf die Frage, was die beiden zu der Vernissage geführt habe, erfuhr, daß Assuntas Vater die Glasbläserei gehöre, in der einer der ausstellenden Künstler seine Arbeiten hatte fertigen lassen.
    »Von ihm sind die flachen Ornamente da vorn«, erklärte Assunta. »Lino, so heißt der junge Mann, stammt von hier. Er ist der Neffe einer Schulfreundin von mir, dadurch kam er auf unsere fornace. Sie rief an und hat bei mir vorgefühlt. Dann habe ich mit dem maestro gesprochen und ihn mit Lino zusammengebracht. Beiden gefiel, was der andere machte, und so beauftragte Lino den maestro, seine Kreationen zu brennen.«
    Eine echt venezianische Lösung, dachte Brunetti: Einer kannte jemanden, der mit einem Dritten die Schulbank geteilt hatte, und schon war man im Geschäft.
    »Konnte er das denn nicht selber?« fragte Paola. Als Assunta und Ribetti sie verständnislos anblickten, wies sie auf die Stücke in der Vitrine und sagte: »Der Künstler. Könnte er seine Sachen nicht selber brennen?«
    Assunta hob die Hand, wie um ein Unglück abzuwehren. »Nein, auf keinen Fall! Dazu bedarf es jahre-, wenn nicht jahrzehntelanger Übung. Man muß die Rohstoffe des Glases kennen und das richtige Gemenge, muß wissen, welche miscela die gewünschten Farben ergibt, wie der Schmelzofen beschaffen und wie flink und verläßlich der servente ist, der einem bei dem jeweiligen Werkstück assistiert.« Als habe die lange Aufzählung sie erschöpft, hielt Assunta unvermittelt inne. »Und das ist erst der Anfang«, setzte sie nach einer kleinen Pause hinzu, und ihre Zuhörer lachten.
    »Sie aber können es offenbar schon«, sagte Paola mit allen Anzeichen der Hochachtung.
    »O nein!« wehrte Assunta ab. »Ich bin zu klein. Glasbläser ist ein Männerberuf, oder zumindest müßte man die Statur und die Kraft eines Mannes haben.« Hier streckte sie ihre Hand aus, die kaum größer war als die eines Kindes. »Was, wie Sie sehen, auf mich nicht zutrifft.« Sie ließ die Hand wieder sinken. »Aber ich bin schon als kleines Mädchen in der fornace ein und aus gegangen und so damit vertraut, daß ich inzwischen wahrscheinlich Glas oder zumindest Sand im Blut habe.«
    »Sie arbeiten bei Ihrem Vater?« erkundigte sich Paola.
    Eine Frage, die Assunta so zu verwirren schien, als sei ihr noch nie der Gedanke gekommen, daß es für sie auch eine andere Beschäftigung geben könne. »Ja, ich helfe ihm, die fornace zu leiten. Ich bin ja praktisch dort aufgewachsen.«
    »Sie ist eine bezahlte Sklavin.« Scherzhaft fuhr Ribetti seiner Frau durchs Haar und verstrubbelte ihre Frisur.
    Assunta zog den Kopf ein, wie um seiner Hand zu entschlüpfen, aber man sah deutlich, daß sie seine Berührung ebenso genoß wie die darin enthaltene spielerische Galanterie. »Ach, laß das, Marco. Du weißt doch, wie ich an der Firma hänge.« Und an Paola gewandt, fuhr sie fort: »Darf ich fragen, was Sie beruflich machen, Signora?«
    Paola bot ihr an, sie beim Vornamen zu nennen, und verfiel dabei unwillkürlich gleich ins vertrauliche tu. »Ich unterrichte an der Universität, englische Literatur.«
    »Und macht dir das Spaß?« fragte Assunta erstaunlich direkt.
    »O ja.«
    »Dann wirst du mich ja verstehen«, entgegnete Assunta eifrig. Brunetti war froh, daß sie ihm nicht die gleiche Frage stellte, denn er wußte nicht, wie seine Antwort ausgefallen wäre. Unterdessen legte Assunta vertraulich die Hand auf Paolas Arm und fuhr fort: »Mir macht es einfach Freude zuzuschauen, wie die Dinge entstehen, ihre Form verändern und dabei immer schöner werden. Sogar wenn das Glas über Nacht im Ofen härtet, schaue ich gerne zu.« Sie wies mit der Hand auf eine der

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