Brunetti 15 - Wie durch ein dunkles Glas
schon mehr herausgekommen.«
»Also dann«, sagte Brunetti, »erzählen Sie.«
Elettra deutete auf das Blatt Papier. »Ein Freund bei den Carabinieri hat mir das aus ihrer Akte kopiert. Vor einem Jahr ist Tassini auf der Kommandantur an der Riva degli Schiavoni vorstellig geworden und wollte seinen Chef anzeigen, wegen Gefährdung am Arbeitsplatz. Aber der Maresciallo meinte, seine Beweise reichten nicht aus, und empfahl ihm, sich einen Anwalt zu nehmen und ein Zivilverfahren anzustreben. Sofern er auf seiner Klage bestehe. Die Carabinieri lehnten es ab, seine Anzeige offiziell zu Protokoll zu nehmen.«
»Und Tassini?« fragte Brunetti. »Hat er sich einen Rechtsbeistand genommen?«
»Das weiß ich nicht. In dem Protokoll hier steht nichts darüber, und zu uns ist Tassini nie gekommen. Soll ich der Sache weiter nachgehen?«
Brunetti schüttelte den Kopf. Anwälte konnten Tassini jetzt auch nicht mehr helfen. »Sonst noch was?« fragte er.
»Die Fornace De Cal, Commissario. Ich habe mich umgehört, und es heißt, der Verkauf des Betriebs sei so gut wie beschlossen.«
»Von wem haben Sie das erfahren?«
»Durch einen Freund«, antwortete sie. Und das war's. Wenn irgend möglich, weigerte Elettra sich ebenso standhaft wie er, eine Quelle preiszugeben.
»Hört man auch schon was über einen potentiellen Käufer?«
»Da die Chinesen es noch nicht auf unser Glas abgesehen haben«, begann Elettra in dem ironischen Ton, mit dem sie sich über diese umtriebige Enklave Venedigs zu äußern pflegte, »wird vorerst nur ein Name gehandelt, nämlich der von Gianluca Fasano. Ihm gehört die Manufaktur gleich nebenan. Mein Freund sagt, De Cals Ofen seien sehr viel moderner als die seinen.«
»Demnach will Fasano also in der Glasherstellung bleiben?« fragte Brunetti, eingedenk der Gerüchte über Fasanos politische Ambitionen.
»Was ist venezianischer als Muranoglas?« fragte Elettra zurück, und Brunetti stellte überrascht fest, daß sie es ernst meinte. »Damit könnte er beweisen, daß er aufrichtig bemüht ist, die Stadt wieder zum Leben zu erwecken.« Solch feierliche Töne hörte man von Signorina Elettra normalerweise nur mit einer gehörigen Portion Spott verbrämt. Doch diesmal lagen die Dinge anders. »Für uns, wohlgemerkt«, setzte sie hinzu. »Für die Venezianer.«
»Heißt das, Sie glauben ihm?« fragte Brunetti. »Obwohl er in die Politik gehen will?«
Mit Rücksicht auf seine Skepsis dämpfte sie ihre Begeisterung und beschränkte sich auf den Hinweis: »Fasano ist Präsident des Glasbläserverbandes - das ist ja wohl kaum ein politisches Amt.«
»Aber ein gutes Sprungbrett«, entgegnete Brunetti ruhig und sachlich. »Er könnte in Murano starten und sich nach Venedig vorarbeiten. Wie Sie richtig sagten: Was ist venezianischer als Muranoglas?« Und ihr Schweigen als Zustimmung wertend, fragte er: »Was hat er denn sonst noch für Pläne zur Wiederbelebung der Stadt?«
»Es sollte kein Wohneigentum mehr an fremde Zuzügler verkauft werden« - und bevor Brunetti etwas einwenden oder das EU-Recht zitieren konnte, fuhr sie fort -, »außer man würde eine saftige Steuer für Nichtansässige erheben.« Als Brunetti sich nicht dazu äußerte, fügte Elettra hinzu: »Fasano sagt, wenn die Fremden unbedingt hier wohnen wollen, dann sollen sie sich das auch was kosten lassen.«
»Sonst noch was?« fragte Brunetti ausdruckslos.
»Weil die Stadt doch dauernd über leere Kassen klagt, hat Fasano vorgeschlagen, die Einnahmen des Casinos öffentlich zu machen, damit die Bürger erfahren, wieviel an Gehältern ausbezahlt wird und wer in deren Genuß kommt, und was die Restaurant- und Barbetreiber an Miete zahlen. Ach ja, und wer die Konzessionen für diese Betriebe hält.« Das hörte sich auch für Brunetti äußerst vernünftig an, und er ermunterte Elettra mit einem Kopfnicken fortzufahren. »Fasano will erreichen, daß die Stadt beziehungsweise die Region sich wieder wie früher mit vierzig Prozent an den Gaspreisen für die Öfen auf Murano beteiligt. Weil andernfalls schon in wenigen Jahren sehr viele Arbeitsplätze auf der Insel verlorengingen.«
Als Brunetti darauf nichts erwiderte, fügte Elettra hinzu: »Und er sorgt sich um das Schicksal der Lagune, wegen all der giftigen Abwässer aus Marghera. Fasano kritisiert, daß viel zu wenig Bußgelder verhängt werden.«
»Er will also die Großindustrie ausbremsen?« Eine Formulierung, die Brunetti umgehend leid tat.
»Oder die Lagune retten«, entgegnete
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