Brunetti 17 - Das Mädchen seiner Träume
Giacomo dell'Orio und holt welches?«
Raffi spießte die letzten Karottenscheibchen auf und schob sie in den Mund, bevor er die Hand hob. »Ich gehe.«
»Schön, aber welche Sorten wollen wir nehmen?«, fragte Paola, die sich noch nie für Eissorten interessiert hatte solange ihre Portion nur groß genug war -, mit aufgesetzter Fröhlichkeit. »Chiara, willst du deinen Bruder nicht begleiten und ihm aussuchen helfen?«
Chiara schob ihren Stuhl zurück und stand auf. »Wie viel?«
»Nehmt den größten Becher, den sie haben: Ich finde, wir sollten die Saison mit einem Tusch beginnen.« Und an Raffi gewandt, setzte Paola hinzu: »Nimm das Portemonnaie aus meiner Handtasche. Die hängt neben der Tür.«
Die Kinder verstießen gegen jede Familiensitte, indem sie, noch bevor Brunetti aufgegessen hatte, davonliefen und die Treppe hinunterpolterten.
Am Tisch herrschte Schweigen, und als Brunetti seine Gabel hinlegte, klirrte es unnatürlich laut. »Darf ich fragen, was das eben sollte?« »Verhüten, dass du meine Kinder als Spitzel missbrauchst«, erwiderte Paola zornig. Bevor er noch zu einer Verteidigung ansetzen konnte, fuhr sie fort: »Und sag jetzt bloß nicht, das wäre ein harmloses Tischgespräch gewesen, mit ein paar Fragen ins Blaue hinein. Dazu kenne ich dich zu gut, Guido. Und ich werde es nicht dulden.«
Brunetti senkte den Blick auf seinen Teller und wunderte sich, dass er so viel gegessen hatte. Aber woher sonst kam dieses unangenehme Völlegefühl? Er trank seinen Wein aus und stellte das Glas auf den Tisch.
Sie hatte recht. Er wusste das, ärgerte sich aber, es derart schonungslos unter die Nase gerieben zu bekommen. Den Blick immer noch auf den Teller gerichtet, nahm er erst die Gabel, dann das Messer und legte beide akkurat nebeneinander quer über den Teller.
»Und dir wäre es auch nicht recht, Guido«, sagte Paola mit sehr viel sanfterer Stimme. »Wie gesagt, ich kenne dich zu gut.« Es entstand eine Pause, und dann setzte sie hinzu: »Wenn du's getan hättest, würdest du's hinterher bitter bereuen.«
Er schob seinen Stuhl zurück, stand auf und nahm sein Gedeck, um es in die Küche zu tragen. Als er hinter ihrem Stuhl innehielt und ihr die Hand auf die Schulter legte, schloss sich ihre Hand zärtlich um die seine.
Schlagartig kehrte sein Appetit zurück. »Hoffentlich bringen sie auch Schokoladeneis mit«, sagte er.
29
A m nächsten Morgen lag Brunetti noch im Bett, als Paola längst aufgestanden und in die Uni gegangen war. Er überdachte seine Möglichkeiten und versuchte den Fall des Zigeunermädchens aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Bei Licht besehen, hatte er nichts in der Hand. Der einzige »Beweis« dafür, dass das Mädchen nicht anlässlich eines Einbruchs auf der Flucht vom Tatort unglücklich gestürzt und zu Tode gekommen war, bestand in der Aussage eines Kindes, das behauptete, ein Tigermann habe seine Schwester getötet. Als Indizien konnte Brunetti einen Manschettenknopf vorweisen und einen Ring mit einem Stein aus wertlosem roten Glas.
An der Leiche des Kindes konnten keinerlei Spuren von Gewalteinwirkung nachgewiesen werden, bis auf die mit Terrakotta verfärbten Schürfwunden, die sie sich beim Sturz vom Dach zugezogen hatte. Als Todesursache hatte der Pathologe Ertrinken festgestellt.
Dass die Fornaris mittlerweile von irgendeinem Verschulden wussten und dies zu verbergen suchten, war nur so ein Gefühl von Brunetti. Ursprünglich hatten Vianello und er Signora Vivarini, was den Einbruch betraf, für ahnungslos gehalten.
Fornari hatte bedrückt gewirkt, als Brunetti mit ihm sprach, aber bei Geschäften mit Russland hatte er auch allen Grund dazu. Dass auch seine Frau bei diesem zweiten Gespräch ziemlich nervös war, hatte nicht unbedingt etwas zu bedeuten. Und ihre Tochter war Brunetti ganz unbefangen gegenübergetreten. Aber dann fiel ihm ihr plötzlicher Hustenanfall ein. Der genau in dem Moment einsetzte, als er sich verabschieden und Vianello holen wollte. »Ispettore« Vianello hatte er gesagt.
Selbst das konnte ganz harmlos sein: Dauernd hustete irgendwer.
Brunetti wälzte sich unter dem Bettzeug hin und her, rollte schließlich auf den Rücken und starrte an die Decke, bis das hereinflutende Licht ihn aufscheuchte. Es blieb ihm nichts weiter übrig, als mit Patta zu reden und abzuwarten, ob der Vice-Questore nur dieses eine Mal das Tatmuster erkennen würde, zu dem sich all diese winzigen Mosaiksteinchen vielleicht zusammensetzen
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