Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Brunetti 17 - Das Mädchen seiner Träume

Brunetti 17 - Das Mädchen seiner Träume

Titel: Brunetti 17 - Das Mädchen seiner Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
Vom Netzwerk:
Sein Lachen klang erstaunlich tief, wie Wasser, das durch eine ferne Leitung rauscht. Er beugte sich vor und tätschelte Brunettis Knie, während er angestrengt um Fassung rang. »Verzeihen Sie, mein Sohn, verzeihen Sie«, bat er schließlich keuchend und wischte sich mit dem Saum seines Skapuliers die Tränen aus den Augenwinkeln. »Aber Sie haben ein bisschen was von einem Polizisten an sich. Deshalb kam mir der Verdacht, Sie könnten zu denen gehören.«
    »Ich bin Polizist!«, erklärte Brunetti. »Aber ein richtiger.« Aus irgendeinem Grund löste das einen neuerlichen Heiterkeitsausbruch aus. Es dauerte eine Weile, bevor Padre Stefano zu lachen aufhörte, und noch länger, bis Brunetti ihm den wahren Grund für sein Interesse an Antonin dargelegt hatte. Inzwischen beschäftigte der Argwohn des alten Pfarrers den Commissario genauso wie die ungeklärten Beweggründe Antonins.
    Nachdem Brunetti geendet hatte, verfielen beide in ein behagliches Schweigen, das der alte Mann schließlich mit den Worten brach: »Antonin ist Gast in meinem Haus, also obliegen mir ihm gegenüber die Pflichten des Gastgebers.« So wie er das sagte, zweifelte Brunetti nicht daran, dass er seinen Gast, falls nötig, mit dem Leben verteidigen würde. »Die Umstände, deretwegen man ihn aus Afrika zurückbeorderte, sind einigermaßen undurchsichtig. Aber den amtlichen Papieren, in denen mir Padre Antonin« - Brunetti entging nicht, mit welcher Herzlichkeit der alte Mann jetzt Scallons Vornamen aussprach - »als mein Gast angekündigt wurde, konnte ich entnehmen, dass er in den Augen derjenigen, die ihn herschickten, seine Ehre verwirkt hatte.«
    Der parroco hielt inne, als warte er auf Fragen. Als keine kamen, fuhr er fort. »Inzwischen lebt Padre Antonin schon eine ganze Weile bei mir, und ich habe nichts bemerkt, was die Ansicht seiner Kirchenoberen bestätigen würde. Er ist ein anständiger, freundlicher Mensch - vielleicht ein bisschen zu sehr von der Richtigkeit seines Urteils überzeugt, aber das gilt ja wohl für die meisten von uns. Erst im Alter lässt der eine oder andere auch Zweifel zu an dem, was er zu wissen glaubt.«
    »Aber die Gewissheit, dass wir nie gut genug mit unseren Mitmenschen umgehen, die steht außer Zweifel?«, fragte Brunetti.
    »So ist es.«
    Brunetti verstand den Appell, der in dieser kurzen Antwort mitschwang, und nickte zustimmend. Aber er spürte auch die Erschöpfung, die sich unversehens eingeschlichen und Augen wie Mund des alten Mannes befallen hatte.
    »Ich wüsste gern, wie weit man ihm trauen kann«, sagte Brunetti unvermittelt.
    Padre Stefano verlagerte sein Gewicht von einer Seite des Sessels auf die andere, was bei seiner gebrechlichen Statur einem Verschieben von Knochen und dem sie verhüllenden Stoff gleichkam. »Ich glaube, er verdient es, dass man ihm nicht von vornherein misstraut, mein Sohn.« Und stillvergnügt vor sich hin schmunzelnd setzte der Priester hinzu: »Aber dazu rate ich in meinem Alter fast jedem und in Bezug auf so gut wie jeden.«
    Brunetti konnte der Versuchung nicht widerstehen: »Außer sie kommen aus Rom?«, fragte er.
    Das Gesicht des alten Priesters wurde wieder ernst, und er nickte.
    »Dann werde ich Ihren Rat beherzigen«, sagte Brunetti, während er sich aus seinem Stuhl erhob. »Und ich danke Ihnen dafür.«

7
    A uf dem Weg zur Questura dachte Brunetti nach über das, was er von Padre Stefano erfahren hatte. Nicht nur durch seine Arbeit als Kriminalist, sondern auch im Kampf mit den Tücken des täglichen Lebens hatte er im Lauf der Zeit die Fähigkeit eingebüßt, anderen Menschen spontan zu vertrauen. Oder vielleicht musste man sich diese Fähigkeit auch erarbeiten, so wie die Contessa sich, allen negativen Erfahrungen zum Trotz, ihren Glauben erkämpft hatte.
    Brunetti wandte sich von seinen philosophischen Grübeleien wieder den Tatsachen zu: Letztlich hatte er von keiner Seite etwas über Antonin erfahren, das ihn verdächtig machte. Er war auf einer Beerdigung erschienen, um der verstorbenen Mutter eines alten Freundes seinen Segen zu spenden: Wieso konnte er, Brunetti, dies nicht als einen Akt schlichter Herzensgüte akzeptieren? Aus dem aggressiven Rüpel, der Antonin als Kind gewesen war, war ein Priester geworden.
    Ungeachtet seiner gläubigen Mutter hegte Brunetti große Vorbehalte gegen die Kirche, für die sein Vater nur Verachtung empfunden hatte. Seine schlimmen Kriegserfahrungen hatten ihm jeglichen Respekt vor mächtigen Institutionen geraubt.

Weitere Kostenlose Bücher