Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Brunetti 17 - Das Mädchen seiner Träume

Brunetti 17 - Das Mädchen seiner Träume

Titel: Brunetti 17 - Das Mädchen seiner Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
Vom Netzwerk:
Mann.
    Brunetti mimte, so gut er konnte, den Verlegenen. »Die Messe hat der Gemeindepfarrer meiner Mutter gelesen, Padre. Padre Scallon«, fuhr er, nun seinerseits den offiziellen Titel verwendend, fort, »hat erst am Grab einen Segen gesprochen.«
    »Ah, jetzt verstehe ich«, sagte der Priester. »Dann möchten Sie ihm also für diesen Segensspruch danken?«
    »Ja. Aber wenn Padre Scallon nicht da ist, kann ich vielleicht ein andermal wiederkommen«, schlug Brunetti zum Schein vor.
    »Sie könnten ihm auch eine Nachricht hinterlassen«, meinte der Priester.
    »Ich weiß, ich weiß. Natürlich hätte ich ihm schreiben können. Aber mit seinem Kommen hat er unserer Mutter Respekt bezeugt, und dafür ...« Brunetti ließ den Satz in der Schwebe. »Ich hoffe, Sie verstehen das, Padre.«
    »Aber ja«, entgegnete der alte Mann mit einem so warmherzigen Lächeln, dass Brunetti sich wie eingehüllt fühlte. »Ich glaube, das kann ich gut verstehen.« Er senkte den Kopf und ließ ein paar Perlen des Rosenkranzes durch seine Finger gleiten. Dann schaute der Alte wieder zu Brunetti auf und führ fort: »Seltsam, der Tod unserer Mütter. Ihr Begräbnis ist meist das erste, an dem wir teilnehmen, und sicher glauben wir zu dem Zeitpunkt, es sei das Schlimmste, was uns widerfahren könnte. Doch wenn wir Glück haben, erweist es sich als das Beste.« Brunetti ließ einen Moment verstreichen und bekannte dann: »Ich weiß nicht, ob ich Ihnen folgen kann, Padre.« »Nun, hatten wir Glück, dann bleiben uns nur gute Erinnerungen und keine, die weh tun. Wenn dem so ist, fällt es, denke ich, leichter, jemanden gehen zu lassen. Und an eine Mutter haben wir ja in der Regel gute Erinnerungen. Im glücklichsten Fall sind auch wir gut zu ihr gewesen und brauchen uns nichts vorzuwerfen: Kommt gar nicht mal so selten vor.« Als Brunetti dazu schwieg, fragte er: »Und Sie, mein Sohn, waren Sie gut zu Ihrer Mutter?«
    Brunetti fand, dass er dem alten Mann, nachdem er ihn schon wegen Antonin beschwindelt hatte, wenigstens in diesem Punkt die Wahrheit schuldete. »Ja, ich war gut zu ihr. Trotzdem: Jetzt, wo sie nicht mehr da ist, kommt es mir so vor, als sei ich nicht gut genug gewesen.«
    Worauf der Priester mit einem nachsichtigen Lächeln antwortete: »Ach, gut genug sind wir doch nie - zu keinem Menschen, nicht wahr?«
    Brunetti unterdrückte den Impuls, seine Hand auf den Arm des alten Mannes zu legen. Stattdessen fragte er: »Vermute ich richtig, dass Sie gewisse Vorbehalte gegen Antonin haben, Padre?« Und bevor der Priester antworten konnte, beeilte er sich hinzuzufügen: »Verzeihen Sie, wenn ich so direkt frage: Ich möchte Ihnen keinesfalls zu nahe treten. Sie brauchen auch nicht zu antworten, denn es geht mich ja eigentlich gar nichts an.«
    Der Priester überlegte eine Weile, und dann verblüffte er Brunetti mit den Worten: »Wenn ich irgendwelche Vorbehalte habe, mein Sohn, dann gelten sie Ihnen und diesem verschleierten Verhör.« Er lächelte, wie um seine Worte abzumildern, und setzte hinzu: »Sie erkundigen sich nach Padre Scallon, aber wie mir scheint, haben Sie, ungeachtet all Ihrer Fragen, das Urteil über ihn längst gefällt.«
    Nach einer kurzen Pause fuhr der alte Pfarrer fort: »Ich halte Sie für einen aufrichtigen Mann. Umso mehr wundert es mich, dass Sie hierher kommen und mich in dieser Weise nach Scallon ausfragen: geleitet von einem Verdacht, den Sie zu verbergen suchen.« Mit einem Mal leuchteten die Augen des Priesters so hell, als wäre hinter ihnen ein Licht angezündet worden. »Darf ich Ihnen auch eine Frage stellen, mein Sohn?«
    »Aber natürlich.« Brunetti hielt dem Blick des alten Mannes stand, auch wenn er am liebsten weggeguckt hätte. »Sie kommen doch nicht etwa aus Rom?«
    Da sie sich schon die ganze Zeit auf Veneziano unterhielten, war diese Frage Brunetti unerklärlich. »Nein, natürlich nicht!«, antwortete er. »Ich bin Venezianer, wie Sie.«
    Der Priester schmunzelte, sei es über Brunettis Beteuerung oder die Vehemenz, mit der er sie vorbrachte.
    »Nein, das meine ich nicht, mein Sohn. Ihre Abstammung verrät sich ja mit jedem Wort aus Ihrem Mund. Was ich wissen möchte, ist, ob Sie Rom vertreten?«
    »Sie meinen die Regierung?«, fragte Brunetti verwirrt. Padre Stefano zögerte eine Weile mit der Antwort. »Nein, die Kirche.«
    »Wer, ich?«, rief Brunetti so schockiert, dass der alte Priester losprustete. Erst versuchte er es zu unterdrücken, doch dann konnte er sich nicht mehr halten.

Weitere Kostenlose Bücher