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Brunetti 17 - Das Mädchen seiner Träume

Brunetti 17 - Das Mädchen seiner Träume

Titel: Brunetti 17 - Das Mädchen seiner Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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glaube, es geht darum, wie ein Beamter bei einer Festnahme die zu verhaftende Person behandelt, Commissario.«
    »Aha«, murmelte Brunetti und versteckte seine Frage hinter der Betonung.
    »Das aktuelle Denkmodell«, begann sie und legte einen so übertriebenen Nachdruck auf das Wort, als wolle sie es als Zielscheibe an die Wand nageln, »sieht die Angehörigen von Minderheitengruppen offenbar als Opfer von ...« Sie brach ab und zog das Blatt Papier zu Rate. »Ah ja, hier steht es«, fuhr sie fort und deutete mit dem Radiergummi auf die Mitte der Seite. »› ... von ungebührlichen verbalen Übergriffen seitens der Vollzugsbeamten‹«, schloss sie.
    »Was, bitte, sind verbale Übergriffe?«, fragte Brunetti. »Berechtigte Frage, Commissario!«, seufzte sie und beugte sich vor, um abermals das Schriftstück zu konsultieren. »›Der durch die erlittene Demütigung verursachte Schaden ist so gravierend, dass selbst diejenigen, die keine unmittelbare Erinnerung an den Willkürakt bewahren, dessen Wirkung verinnerlichen, so dass jede weitere Diskriminierung ihr Selbstwertgefühl nachhaltig beschädigt, namentlich in Fällen, wo dieses an Rasse, religiöse, kulturelle oder Stammestraditionen gekoppelt ist.‹«
    Sie blickte auf. »Soll ich fortfahren, Commissario?« »Wenn Sie meinen, dass es irgendeinen Sinn hat - nur zu!« »Ob es Sinn ergibt, kann ich nicht versprechen, aber es ist immerhin ein Absatz drin, der Sie interessieren könnte.« »Ich bin ganz Ohr«, versicherte Brunetti.
    Daraufhin schob sie das oberste Blatt beiseite und fuhr mit dem Radiergummi suchend an dem darunter entlang.
    »Ah, hier ist es! ›Die stetig wachsende ethnische und kulturelle Vielfalt in unserer Gesellschaft macht es dringlicher denn je, dass die Ordnungskräfte dem breiten Spektrum unserer neuen Mitbürger mit Toleranz und Offenheit begegnen. Nur durch liberale Akzeptanz und Aufgeschlossenheit gegenüber anderen Lebensformen können wir all jenen, die ihre Zukunft bei uns suchen, glaubhaft vermitteln, dass sie hier willkommen sind.‹« Lächelnd blickte Signorina Elettra auf. »Und was heißt das im Klartext?«, fragte er.
    »Nun, ich habe ja seine gesamten Aufzeichnungen gelesen, und nach dem, was folgt, läuft es wohl darauf hinaus, dass es bald noch schwerer werden wird, extracomunitari für irgendwelche Straftaten zu belangen.«
    Verglichen mit dem Kauderwelsch in all den Akten, die täglich über seinen Schreibtisch schwappten, war ihre Antwort so klar und eindeutig, dass es Brunetti schier den Atem verschlug. »Verstehe«, murmelte er nach einer Pause. Und obwohl er durch ihren Anruf von vorhin bereits im Bilde war, erkundigte er sich mit einem Kopfnicken zu Pattas Büro hin: »Ist er da?« »Ja, und er erwartet Sie«, antwortete Signorina Elettra ohne jedes Zeichen der Reue dafür, dass sie Brunetti davon abgehalten hatte, dem Ruf seines Vorgesetzten unverzüglich zu folgen.
    Brunetti klopfte und betrat, sowie von drinnen Pattas Stimme erklang, dessen Dienstzimmer. Der Vice-Questore posierte so würdevoll hinter seinem Schreibtisch, als wäre er aus Stein gehauen. »Ah, guten Morgen, Commissario!«, grüßte er. »Bitte, nehmen Sie doch Platz.«
    Da er sah, dass Patta etliche Schriftstücke vor sich liegen hatte, wählte Brunetti den Stuhl, der dem Schreibtisch am nächsten stand. Patta hatte ihn mit seinem Dienstgrad angesprochen: Das mochte ein Zeichen von Wertschätzung sein und somit Gutes verheißen; falls Patta damit auf seine untergeordnete Position anspielte, konnte es aber auch genauso gut ein schlechtes Omen sein. Pattas Miene wirkte durchaus freundlich, doch darauf war kein Verlass: Bekanntlich aalten sich auch Klapperschlangen gern auf einem Felsen in der Sonne.
    »War der Aufenthalt in Berlin ein Gewinn für Sie, Dottore?«, fragte Brunetti.
    »0 ja, Brunetti!« Patta lehnte sich in seinem Sessel zurück, streckte die Beine aus und schlug die Füße übereinander. »Ja, durchaus. Es tut gut, von Zeit zu Zeit über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen und mit unseren Kollegen aus anderen Ländern in Fühlung zu treten. Sich ihre Sicht der Dinge anzuhören.«
    »Und gab es viele interessante Präsentationen?«, fragte Brunetti, weil ihm nichts anderes einfiel.
    »Man lernt nicht aus den Präsentationen, Brunetti, sondern durch Gespräche im kleinen Kreis, aus dem, was die Kollegen über die Situation in ihren Ländern, auf ihren Straßen berichten.« Patta geriet zusehends in Fahrt: »So gewinnt man Einblick.

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