Brunetti 17 - Das Mädchen seiner Träume
Schiavoni zurück. Ohne zu zögern, schwenkten die beiden rechts an der Menge vorbei bis vor zu der Eisenkette, die den Zutritt zum Anleger versperrte. Prompt stellte sich ihnen eine Blondine mit scharfen Gesichtszügen in den Weg, deren Jeans so knapp saßen, dass Brunetti um ihre Atmung, wenn nicht gar um ihr Leben fürchtete.
»Das ist ein Ausgang!«, rief sie mit schriller Stimme und wollte die beiden mit flatternden Handbewegungen verscheuchen. »Sie behindern die ankommenden Fahrgäste.«
»Und das ist mein Dienstausweis«, entgegnete Vianello und schwang sich über die Absperrkette, um ihn der Blondine unter die Nase zu halten. »Sie behindern eine polizeiliche Ermittlung.« Die Frau gab sich so leicht nicht geschlagen, doch ihre Antwort wurde vom Dröhnen des nahenden Vaporetto verschluckt, das im Rückwärtsgang beidrehte. Die Blondine fuhr herum und pflanzte sich, die Hände in die Hüften gestemmt, vor ihnen auf, als fürchte sie, die beiden würden sich an ihr vorbeidrängeln, noch während die ankommenden Passagiere von Bord gingen.
Doch Brunetti und Vianello blieben geduldig auf ihrem Platz. Sobald der Strom der Ankömmlinge versiegt war, trat die Frau beiseite und löste die Kette, mit der sie die beiden und den Pulk der Wartenden in Schach gehalten hatte.
Als das Boot ablegte, stieß Brunetti den Ispettore mit dem Ellbogen an und sagte: »Widerstand gegen einen Polizeibeamten in Ausübung seiner Dienstpflicht. Drei Jahre auf Bewährung, sofern es ein erstes Vergehen war.«
»Ich würde auf fünf erhöhen«, antwortete Vianello. »Und sei's nur wegen der Jeans.«
»Ach«, seufzte Brunetti übertrieben, »wo sind sie hin, die guten alten Zeiten, in denen wir noch alle und jeden mit so einem Dienstausweis einschüchtern konnten?«
Vianello lachte laut auf. »Ich glaube, diese ungeheuren Menschenmassen verderben mir die Laune.« »Dann gewöhn dich mal dran.« »Woran?«
»An die schlechte Laune. Die Touristenzahlen steigen nämlich unaufhaltsam: Letztes Jahr sechzehn Millionen, in diesem schon zwanzig. Gott allein weiß, wie viele es im nächsten Jahr sein werden.«
über diesem Geplänkel erreichten sie die Zattere und beschlossen, da es noch nicht zwölf war, zunächst Fornari ausfindig zu machen und dann Mittagessen zu gehen.
Es hatte aufgeklart, und der Spaziergang entlang der riva war wie ein Bad in Licht und Schönheit. Vianello aber ließ der Gedanke an die sprunghaft wachsende Touristenschwemme nicht los. »Und was soll werden«, fragte er, »wenn erst die Chinesen kommen?«
»Ich glaube, die sind schon da.«
»Als Teil der zwanzig Millionen?« Brunetti nickte, und Vianello fuhr fort: »Aber was machen wir, wenn zusätzlich zu den jetzigen zwanzig Millionen noch mal so viele Chinesen anrücken?«
»Ich weiß nicht.« Brunettis Augen ergötzten sich an der Redentore-Kirche jenseits des Giudecca-Kanals. »Wahrscheinlich Versetzung beantragen.«
Nachdem Vianello diese Möglichkeit erwogen hatte, fragte er: »Könntest du denn woanders leben?«
Brunetti wies mit dem Kinn auf die Kirche drüben auf der Giudecca. »Genauso wenig wie du, Lorenzo.«
Vor dem ehemaligen Schweizer Konsulat bogen sie erst links ab und dann rechts, gelangten in die Calle di Mezzo und waren auch schon am Ziel. Und doch wieder nicht. Denn Signor Fornari und seiner Gattin gehörte zwar das Appartement im dritten Stock, aber sie bewohnten es nicht. Das jedenfalls erzählte ihnen die Wohnungseigentümerin zwei Etagen tiefer, bei der Brunetti und Vianello geläutet hatten, nachdem sie auf den Klingelschildern neben der Eingangstür weder den Namen Fornari noch Vivarini fanden.
Dort oben wohnten jetzt Franzosen, erklärte die Frau in einem Ton, als hätte Signor Fornari an eine Horde marodierender Westgoten vermietet. Er und seine Familie seien in die Wohnung seiner Schwiegermutter gezogen, und das schon vor sechs Jahren, gleich nachdem die alte Signora in die Casa di Dio eingeliefert werden musste. Reizende Leute, doch, doch, Signora Orsola und Signor Giorgio, er verkaufe Küchen, und sie leite das Familienunternehmen: Zucker. Und so reizende Kinder, Matteo und Ludovica, beide wirklich bildhübsch und ...
Bevor die Frau ihre Lobeshymnen womöglich noch auf die nächste Generation ausdehnen würde, fragte Brunetti, ob sie zufällig Signor Fornaris Telefonnummer und Adresse habe. Während der ganzen Unterhaltung stand die Frau oben am Fenster und Brunetti unten in der calle, so dass jeder, der vorbeikam oder in
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