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Brunetti 17 - Das Mädchen seiner Träume

Brunetti 17 - Das Mädchen seiner Träume

Titel: Brunetti 17 - Das Mädchen seiner Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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ein Fest gefeiert wird oder wenn sie eine Versammlung abhalten. Sind natürlich nur Schätzwerte. Wir können lediglich die Wohnwagen oder die Autos zählen und mit vier multiplizieren.« Steiner schmunzelte und fuhr sich mit der Hand durchs Haar: Brunetti glaubte es knistern zu hören. »Kein Mensch weiß, wie wir zu dieser Zahl kommen«, gestand der Maresciallo, »aber wir arbeiten nun mal damit.« »Und insgesamt? Ich meine, in ganz Italien?«
    Als Steiner diesmal mit beiden Händen durch sein schwarzes Haar harkte, knisterte es tatsächlich. »Tja, das ist Auslegungssache. Die Regierung sagt vierzigtausend, also sind's möglicherweise vierzigtausend. Aber es könnten genauso gut auch hunderttausend sein. Genau weiß das keiner.« »Heißt das, niemand zählt?«, fragte Brunetti.
    Steiner sah ihn scharf an. »Ich dachte, Sie würden fragen, ob es niemanden kümmert«, sagte er.
    »Auch das«, entgegnete Brunetti, der sich dem Maresciallo langsam nicht mehr so fremd fühlte.
    »Amtliche Zählungen gibt's sicher nicht«, sagte Steiner. »Das heißt, die Leute in den Camps werden schon registriert, fragt sich nur, ob das, was wir da veranstalten, einer ordnungsgemäßen Zählung entspricht. Immerhin wird die Belegung der Camps landesweit kontrolliert. Aber die Zahlen ändern sich täglich. Und auf Grund ihrer unsteten Lebensweise werden einige dieser Leute nie, andere dafür gleich mehrmals erfasst. Manchmal, wenn der Aufenthalt in einem Camp brenzlig für sie wird, verschwinden sie auch einfach.« Steiner maß den Commissario mit einem langen Blick. »Was ich Ihnen jetzt sage, muss absolut unter uns bleiben: Wer in den Zigeunern eine Gefahr für die Gesellschaft sieht oder zu sehen vorgibt, der kommt auf höhere Zahlen als Leute, die eine andere Einstellung haben.«
    »Und wieso?« Brunetti stellte die Frage, obwohl er sie sich durchaus selbst beantworten konnte.
    »Nehmen Sie beispielsweise die Nachbarn. Die werden's leid, dass man ihnen die Autos klaut, in ihre Häuser einbricht oder dass ihre Kinder in der Schule von den Lager-Kids verprügelt werden. Sofern die zur Schule gehen. Also schließt sich das bürgerliche Lager zu Gruppen - oder sagen wir ruhig Banden - zusammen, und je höher die Zahl der nomadi landesweit ist, desto nachdrücklicher drängen ihre Gegner auf Abschiebung. Und fangen an, ihnen das Leben schwerzumachen.«
    Da Brunetti seiner Argumentation uneingeschränkt zu folgen schien, verzichtete Steiner darauf auszuführen, wie man den nomadi das Leben schwer machte, und zog gleich Bilanz: »Eines Morgens sind dann etliche Wohnwagen und Mercedes verschwunden, in der Umgebung wird eine Zeitlang nicht mehr eingebrochen, die Zigeunerkinder gehen regelmäßig zur Schule und führen sich dort anständig auf.« Wieder maß der Maresciallo Brunetti mit einem langen Blick und fragte dann: »Soll ich ganz offen reden?« »Ich bitte darum!«
    »Auch wir tragen unser Teil dazu bei, sie zu vertreiben.
    Wenn wir ihre Kinder in fremden Häusern aufgreifen, sie beim Verlassen eines Hauses oder auf der Straße mit Schraubenziehern in den Strümpfen oder im Rockbund erwischen, dann schaffen wir sie ins Lager zurück. Falls das häufiger, sagen wir fünf- oder sechsmal geschieht, sucht die Familie das Weite.« »Und dann?«
    »Lassen sie sich irgendwo anders nieder und begehen ihre Einbrüche dort.«
    »Und das geht so einfach?«, fragte Brunetti.
    Steiner zuckte die Achseln. »Sie packen zusammen, suchen sich eine neue Bleibe und leben weiter wie bisher. Schließlich haben sie ja weder Miete noch Hypotheken zu zahlen und müssen, im Gegensatz zu uns, auch keinem Beruf nachgehen.«
    »Das klingt, als hielte sich Ihr Mitgefühl sehr in Grenzen«, wagte sich Brunetti vor.
    Steiner hob die Schultern. »Nein, das stimmt so nicht, Commissario. Aber wenn man sie, so wie ich, seit Jahren festgenommen und ihre Kinder nach Hause geschafft hat, dann vergehen einem die Illusionen.«
    »Und Sie glauben, andere haben noch welche?«, fragte Brunetti.
    »Einige schon. In Sachen Gleichstellung etwa oder Achtung vor fremden Kulturen und Traditionen.« Sosehr er auch die Ohren spitzte, Brunetti konnte in Steiners Worten keinen Anflug von Ironie oder Sarkasmus entdecken.
    »Hinzu kommen die Schuldgefühle wegen der Zigeunerverfolgungen während des Krieges«, fuhr der Carabiniere fort. »Durchaus verständlich, dass man da andere Maßstäbe anlegt.«
    »Was wollen Sie damit sagen?«
    »Dass Sie und ich, wenn wir uns weigerten, unsere

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