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Buch des Flüsterns

Buch des Flüsterns

Titel: Buch des Flüsterns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Varujan Vosganian
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so erwies sich Hartin Fringhian der in Anatolien genossenen Erziehung verpflichtet, die ihm mitgegeben hatte, die wahren Vermögen bemäßen sich in Gold und Edelsteinen, die einzig der Vernutzung durch die Zeitläufte trotzten. So hatten es alle Armenier gehalten, die aus jenen armen Gegenden gekommen waren, in denen selbst das Geld, so wenig es auch gewesen sein mochte, wertvoller war, wenn es in Goldmünzen gezählt wurde. Und sie waren nicht fehlgegangen, denn als die Rote Armee in ihren Vorgärten stand, hatten sie überhaupt keine Mühe, den Schmuck in ihr Bündel zu packen, sich in den finsteren Bauch von Onik Tokatlians Schiff »Transilvania« zu verkriechen und bei Nacht und Nebel nach Constanța zu fliehen. Die ganze Strecke über das Meer versteckten sie sich zwischen den Warensäcken, die das Funkeln der Edelsteine bestens verbargen, in Marseille gingen sie von Bord und wandten sich allein mit den Dingen, die sie an sich trugen, dem Norden und dem Süden Amerikas zu. Die alten Armenier, deren Vorfahren zur Zeit von Alexander dem Guten und Stefan dem Großen oder gar noch früher hierhergekommen waren, als in der Moldau noch kein Vojevode vom Pferd gestiegen war, den sie um Erlaubnis für ihr Geschäft hätten fragen können, die ihr Geld in Häuser und Güter gesteckt hatten, traf die neue Zeit unerbittlich.
    Die Preziosen Hartin Fringhians lagen bestens bewacht im Safe Nr. 78 der Rumänischen Handelsbank. Im Jahre 1945 waren die Mahnungen Onik Tokatlians, der Hartin Fringhian gegenüber den Vorteil hatte, während des Krieges in Odessa, Sevastopol und Poti den Kommunismus bei sich zuhause gesehen zu haben, all seine Armut und Grausamkeit, ergebnislos geblieben. Hartin Fringhian lehnte es ab, Rumänien zu verlassen. Er hielt sich für zu alt, das Leben noch einmal neu zu beginnen. Schließlich ist es auch zu viel für ein Leben, zweimal zu fliehen, hatte er zu Onik Tokatlian gesagt. So entschied sich Hartin Fringhian dazu, seinem Testament treu zu bleiben.
    Er hatte es im Sommer des Jahres 1938 ausführlich niedergelegt. Mit der Feder hatte er auf liniertes Papier geschrieben, damit die Sätze mit den runden und linkischen Buchstaben dessen, der auch nach so vielen Jahren im Schreiben der lateinischen Buchstaben noch ungeübt war, gerade blieben. Mitunter vergaß er, bei einem neuen Paragrafen vorne und mit Großbuchstaben zu beginnen, aber in seinem Rumänisch gab es keine Rechtschreibfehler, und selbst in Details, wie es etwa die Grammatikregeln sind, erwies er sich als korrekt.
    In seinem Testament verfügte Hartin Fringhian, dass sein Vermögen, welches er präzise benannte, von einer Stiftung zu verwalten sei, die seinen Namen tragen solle. Wie nun aber die Armenier langlebig sind, und der Tod nicht kommen wollte, gründete er im Jahre 1943 selber die Stiftung und stattete sie mit allem aus, dessen sie bedurfte.
    Damit sein Testament angewandt werden konnte, hatte Hartin Fringhian zwei Bedingungen vorgegeben: die erste war sein Tod, und die zweite, dass die Gesetze, auf denen sein Reichtum ebenso wie seine Wünsche beruhten, unverändert blieben. Leider ist keine der beiden Bedingungen zur angemessenen Zeit erfüllt worden.
    Hartin Fringhian begriff im Jahre 1948 zum ersten Mal, dass der Tod, wenn er zu spät kommt, genauso böse sein kann, wie wenn er zu früh eintrifft, was seiner in Erzerum verbliebenen Familie widerfahren war. Am 11. Juli 1948 wurde das Gesetz angenommen, das die Verstaatlichung vorsah, wodurch der kommunistische Staat der Eigentümer der Fabriken Fringhians wurde. Das war für ihn etwas Neues. Er zog seinen Smoking an und ging zur Börse, hoffte, dort zu verstehen, was geschah. Aber der Sitz der Börse war umzingelt, und die Broker eilten heraus und warfen aus Angst vor Durchsuchungen sogar das Geld aus ihren Hosentaschen weg. Auf dem Pflaster der Strada Doamnei blieb ein funkelnder Teppich aus Goldmünzen liegen, den die Soldaten bewachten und die Passanten verblüfft betrachteten. Hartin Fringhian kehrte verstört in die Calea Victoriei zurück, in sein dreistöckiges Haus mit der Nummer 72 gegenüber dem Königspalast, wo es heute einen weiten Platz gibt, auf dem allerlei Statuen stehen. Staunend schauten die Passanten diesen großen Mann an, der sich trotz seines fortgeschrittenen Alters aufrecht hielt und sich in seinem Smoking deutlich von dem absetzte, was man nun auf der Calea Victoriei zu sehen bekam – graue Anzüge, Militärjacken ohne Epauletten, Menschen, die in

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