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Buch des Flüsterns

Buch des Flüsterns

Titel: Buch des Flüsterns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Varujan Vosganian
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wie dieser Talaat Pascha verfolgt hatte; dabei hütete er sich, von der Operation »Nemesis« zu sprechen, obwohl er jenseits des von Armen Garo geleiteten Kreises von Freiwilligen einer der ganz wenigen war, die davon gehört hatten, aber das Geheimnis streng für sich behalten und niemals absichtlich enthüllt hatte, da er meinte, er könne Misak Torlakians Vertrauen eher dadurch gewinnen, dass er Dinge andeute, die er nicht von innen heraus kannte, aber deren Sinn er begriffen hatte. Und so begann Misak allmählich, von den Geschichten des Rechtsanwalts verführt, hier und da, wo Hmaiags Erzählungen sich mit seinen Erinnerungen deckten, das eine oder andere hinzuzufügen und schließlich selber zu erzählen. Von Trapezunt, von seiner Faszination für Waffen, über den ersten Menschen, den er umgebracht hat, über die anderen, darüber, wie er in den Bergen auf der Lauer gelegen und gehofft hatte, Enver Paschas Armee würde auftauchen, von der armenischen Vorhut bei der russischen Armee, die das Armenierviertel in Trapezunt zerstört vorgefunden hatte, über sein Dorf, Ghiușana, dessen Häuser niedergebrannt worden waren, über die Stube seiner jüngeren Brüder, wo Reste der Bettwäsche noch zerknüllt unter dem von den Wänden geschlagenen Putz und verkohlten Balken gelegen hatten. Von den Träumen mit dem weißen, blutbefleckten Pferd, das sich vor ihm, den Rücken an der Wand, auf die Hinterbeine erhoben hatte und ihn nicht mit seinen Vorderhufen zerquetscht hat, was nur heißen konnte, dass Bahbud Khan Djivanșir nicht sein Reiter war, sondern die Last, von der es, ihn, Misak, auch im Traum noch verfolgend, befreit zu werden wünschte.
    All dies trug er mit gedämpfter Stimme, aber leidenschaftlich vor. Und da wusste Hmaiag Khosrovian, dass er endlich auf dem richtigen Weg war. Da er die Operation »Nemesis« nicht anführen konnte, und Misak Torlakians Entscheidung, Bahbud Khan zu töten, nicht als ein Auftrag seitens des Anführers der Gruppe, sondern als persönlicher Entschluss dargestellt werden musste, Ergebnis einer zufälligen Begegnung zwischen dem stämmigen, kraushaarigen Armenier und dem riesenhaften Aserbaidschaner, beschloss der Anwalt, unter Beibehaltung des Rests der Geschichte, den Mord an Misaks Familie aus der Umgebung von Trapezunt in die der kurzzeitigen Hauptstadt der Kaukasusrepublik zu verlegen. Das war nicht schwer, denn Misak kannte die Ortschaften und die armenischen Dörfer in der Umgebung von Baku.
    Dann gab es noch den Traum und das blutige Pferd. Khosrovian fragte Misak nicht, wie er zu der Überzeugung gelangt war, das Pferd gehöre eigentlich dem Verfolgten und nicht dem Verfolger. Wenn er über seine Nächte sprach, verlor sich sein Blick wieder, und Misak schien dem Traum entkommen zu wollen, auch um den Preis, sich in einer wenig verlockenden Wirklichkeit wiederzufinden. Kurzum, Hmaiag Khosrovian hatte beschlossen, Misak Torlakian sei ein Schlafwandler. Und sein Verhalten als Schlafwandler müsse minutiös dargestellt werden.
    Bevor er Major Davis vorgeführt wurde, dem vom Gericht zur Begutachtung des psychischen Zustandes von Misak Torlakian bestellten Arzt, hatte Hmaiag Khosrovian um den Beistand einiger armenischer Ärzte gebeten, die ihm in allen Einzelheiten erklärten, wie sich Schlafwandler verhalten, sowohl was die nächtlichen Krisen betrifft als auch hinsichtlich der möglichen Folgen am Tag. Somnambulismus kann man erben. Da jedoch alle nahen Verwandten Torlakians während der Deportationen umgebracht worden waren, sollte seine Herkunft aus einer einschlägig vorbelasteten Familie kein Problem darstellen, schließlich war es unmöglich, das Gegenteil zu beweisen. Immerhin konnte seine apathische Haltung während des Tages seinen Kopfschmerzen zugeschrieben werden, eine selbstverständliche Folge der Umkehrungen, die sein Cortex – der sich im Schlaf wie ein Handschuh wendete – zu erleiden hatte. Mehr Schwierigkeiten bereiteten die nächtlichen Ausfälle, die bewiesen werden mussten, und weil die Untersuchungen tagsüber stattfanden, waren hierfür Zeugen vonnöten. Und die einzig verfügbaren Zeugen konnten nur seine Zellengenossen sein. Dies rettete Misak, denn wenn er alleine in einer Zelle gesessen hätte, wären alle seine schlafwandlerischen Bemühungen ergebnislos geblieben.
    Torlakian bat seine drei Leidensgenossen um Hilfe: den Araber, den jungen Mazedonier und den bolschewistischen Russen. Zuerst schlugen sie mit den Trinkkannen gegen die Wände und

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