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Buch des Flüsterns

Buch des Flüsterns

Titel: Buch des Flüsterns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Varujan Vosganian
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Fenster zur Straße aufrecht dastehen sahen, ins Leintuch gehüllt, wie ein Gespenst; und am Tage saß sie versteinert neben ihrem Lampenschirm. Hätten wir sie nicht wachgerüttelt und sie erinnert, dass es Zeit war, zur Arbeit zu gehen, so wäre sie imstande gewesen, dort sitzen zu bleiben und ganze Schleppnetze aus Seidenfäden zusammenzuflicken. Wir warteten nur, dass Zeit verging, und mit ihr, wie alles auf der Welt, die Leidenschaft, die sie plagte. Nur dass dann das andere Unglück geschah, das uns alle unvorbereitet getroffen hat, sodass wir überhaupt nichts mehr tun konnten, zumal Virginica, mit den Abrechnungen konfrontiert, die nicht mehr stimmten, alles auf sich nahm, und zwar irgendwie erfreut, dass nun alle Bedrängnis vorüber sei. Wir haben immer gesagt, Armenier sind wir, ehrlich sind wir, Kaffee machen wir zwar aus Kichererbsen, aber bei alledem werdet ihr weder je einen toten Teufel noch einen Armenier im Gefängnis zu sehen bekommen. Und er wurde doch gesehen, und sogar in unserer Familie. Virginica bekam drei volle Jahre, und sie schien sich zu freuen, dass sie den Sonntagsbesuchen und dem Defilee mit dem Rosengelee und den in Wassergläsern versenkten Teelöffelchen unter den Nasen der Prätendenten entkommen war, die nun, nachdem sie erfahren hatten, dass Virginica keinen Geliebten mehr hatte, unser Haus bedrängten. Wir haben uns einen Rechtsanwalt genommen, aber der konnte nichts tun, denn der Schaden war offensichtlich, und Virginica hatte alles auf sich genommen. Alles in allem Schmuck von ungefähr fünfzig Gramm Gold und eine mir unbekannte Menge Silber, die sie aus dem Geschäft entwendet und für nichts und wieder nichts an Weißmann verkauft hatte, den Trödler am Markt, damit sie Geld für das Essen und die Bestrickung jenes Habenichts hatte. Sie hätte das von uns verlangen sollen, so wäre uns allen die Schande und ihr das Gefängnis erspart geblieben, aber eigentlich, und wenn ich es mir recht überlege, ich glaube nicht, dass ich ihr so viel Geld gegeben hätte, der reinste Wahnsinn, wir aßen Linsensuppe und Gemüse, das wir mit Zwiebeln in der Pfanne brieten, damit es nach Braten schmeckte, und er bekam gegrillte Filets und Focșanier Creme. Man hätte sie nicht einmal etwas fragen können, sie wäre einem sofort ins Gesicht gesprungen. Und der Mann, also der Gefangene?, fragte Ștefănucă Ibrăileanu, der die Geschichte bis dahin kannte, denn er war der Anwalt, den sie sich genommen hatten. Sag bloß, der ist genau zu der Zeit zurückgekehrt, als das Mädchen im Gefängnis saß? Ach woher denn?, erwiderte Vrej und klaubte sich einen Nusskern aus den Wellen von geröstetem Grieß. Von dem hat niemand mehr etwas gehört. Wir glauben, er ist in irgendeinem Lager in Sibirien umgekommen, wo sie solche Leute, die sie aus den europäischen Garnisonen eingesammelt hatten, hingeschickt haben. Virginica sagt zwar nein, er sei vielmehr zu seiner Frau und den Kindern nach Nakhicevan zurückgekehrt, und die Arme meint natürlich, besser so als tot. Aber woher weißt du von dem Foto mit Frau und Kindern?, fragte der blinde Minas, der Fotografien leidenschaftlich liebte, er sah sie sich mit den Fingern an, und während des Krieges standen die Frauen bei ihm Schlange mit den Fotos ihrer an die Front geschickten Männer, damit er mit seinen Fingern darüber fuhr und ihnen sagte, ob sie noch lebten oder nicht. Manchmal merkten die Frauen, dass Minas mehrfach mit den Fingern über das Foto des in den Krieg gezogenen Mannes gestrichen und kein Zeichen gespürt hatte, dann kamen sie an einem der nächsten Tage mit einem anderen Foto wieder, glaubten, vielleicht sei das Foto schuld. Minas lächelte traurig, aber er hat sie niemals belogen. Stell dir vor, sagte Vrej, er hat es ihr gezeigt, statt es vor ihr zu verbergen. Und sie schaute sich die Kinder auf dem Foto an und tat so, als wundere sie sich. Dann geschieht es ihr recht, folgerte Anton Merzian und warf einen Blick zu den Frauen hinüber, wo Virginica, einem Laster folgend, das sie sich im Gefängnis zugelegt hatte, an der Zigarette zog, Rauchkringel ausstieß und zusah, wie sie sich auflösten; wenn sie schon dumm war, ist sie dann wenigstens vernünftig geworden? Diebstahl ist eine ernste Angelegenheit, fügte Măgârdici Ceslov hinzu, den kannst du nicht für dein Seelenheil begehen. Jedenfalls stiehlst du, wenn du stiehlst, für dich selbst, was soll mir da das Stehlen für andere. Darum haben sie sie auch erwischt, denn wer für sich

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