Buch des Flüsterns
beiden Töchtern Arpine und Hermine in die Armenische Sowjetrepublik repatriieren lassen. Dort gibt es zu viele Steine, seufzte er. Hier hatte er Sehnsucht nach der Heimat, aber er liebte den Boden. In Armenien hatte er seine Heimat wiedergefunden, aber er sehnte sich nach dem Boden in Rumänien, mit dem er zu reden gewohnt war.
DIE GESCHICHTE VON SIMONS REPATRIIERUNG . Jeder zahlt auf seine Weise für seine Sehnsüchte. Der Ort, an dem du dich niederlässt, ist für das, was du zu bewahren suchst, nicht groß genug. Was dir gehört, gehört in gewisser Weise auch dem Ort an. Du wechselst den Ort, verzichtest auf gewisse Dinge und bekommst andere. Du erfüllst dir eine Sehnsucht, aber öffnest zugleich die Tür auf eine andere hin. Jede offene Wunde ist der Anfang eines Weges oder ein verlassener Weg. Während der Heilung wirst du verletzt.
Im Herbst 1945 waren die Vorsteher der armenischen Gemeinden nach Bukarest einbestellt worden. Nachdem die armenischen Emigranten jahrzehntelang die wenig wirksamen Nansen-Pässe trugen und nur mühsam die Genehmigungen für Geschäftseröffnungen erhielten, hatten sie es vorgezogen, von den Autoritäten vergessen zu werden, deshalb fürchteten und achteten sie die Gesetzte. Nun versammelten sie sich auf spektakuläre Weise. Die Sowjetunion bereitete sich darauf vor, in Kars und Ardahan einzumarschieren, in zwei armenische Provinzen, die wie einige weitere auf türkischem Gebiet verblieben waren. Die Armenier in Rumänien sollten eine Zusammenkunft organisieren und ihre Solidarität mit der Sowjetunion kundtun. Eine bolschewistische List, murrte mein künftiger Pate Sahag Șeitanian, aber er hatte keine Wahl. Also bestieg er mit den anderen Mitgliedern des Kirchenvorstands und einigen anderen den Morgenzug nach Bukarest. Den gleichen Zug, in den er sich ein Jahr darauf drängeln wird, eher an der Treppe zum Waggon hängend und zwischen Koffern und breiten Brustkörben in speckigen Kriegsmänteln ohne Epauletten eingequetscht, um nach Craiova zu gelangen, wo er auf dem Alten Markt neben dem Purcicarului-Brunnen zwei Säcke Weizen und einen Sack Maismehl kaufte, mit welchen er zwei Tage später in ein hungertaumelndes, von Trockenheit ausgezehrtes und von einer Gluthitze geschwärztes Focșani zurückkehrte.
Nun aber war erst Herbst 1945. Die Menschen hatten andere Sorgen. Die einen beweinten ihre Toten, die anderen freuten sich über den eingetretenen Frieden. Es gab auch solche, die gleichzeitig weinten und sich freuten, die sich in den einen toten Sohn und den anderen, den heimgekehrten Sohn aufspalteten. Die Toten waren in die Fotografien auf den Kommoden umgezogen, ihre Kleider hatte man zusammengefaltet und in Koffer gepfercht oder aber sie waren draußen geblieben und ließen ihre zu langen Ärmel an den schmächtigen Leibern der jüngeren Geschwister herumflattern. Die letzten Militäreinheiten, die man in den Garnisonen vergessen hatte, die eben aus einer Kriegsgefangenschaft oder von der Westfront zurückgekehrt waren, zogen sich zurück. Zwischen Soldaten in offenen Mänteln, trauerschwarzen Witwen, die jüngeren unter ihnen hatten leuchtende Augen, unter Flüchtlingen und Heimkehrern, einer Welt, die sich wieder sortierte, nachdem der Krieg sie durcheinandergewirbelt hatte, bestiegen meine Alten, damals Männer im besten Alter, den Zug und hielten sich in der Nähe von Großvater Garabet, der ihre Fahrkarten in einer schwarzen Tasche bei sich trug, einer Malertasche, die an seiner Schulter hing. Sahag Șeitanian hatte recht: Es hatte nicht im Geringsten mit den armenischen Gebieten zu tun, viel eher handelte es sich um ein prosowjetisches Meeting. Die antikommunistischen armenischen Parteien Rumäniens, die
Da
ș
naken
und die
Ramgawaren
, hatten sich aufgelöst, nur die Repräsentanten der prokommunistischen
Hânceag
-Gruppe waren noch aktiv. Die Vorsteher der Gemeinden, allesamt
Da
ș
naken
, hatte man schon nach Sibirien deportiert, von ihnen hörte man nichts mehr. Die Prokommunisten hatten die
Armenische Front
gegründet, der sie den Namen von Șahumian, eines revolutionären Armeniers, gegeben hatten, der zur Zeit des Zaren umgebracht worden war. Brav aufgereiht und zu ihrer Verwunderung in Kolonnen marschierten die Armenier vom Sitz der Front in der Armenischen Straße über den Boulevard Carol, hielten einen Augenblick am Universitätsplatz an, um sich zu »gruppieren«, und schwenkten dann nach rechts bis vor die Botschaft der Sowjetunion. Dort wurden sie in
Weitere Kostenlose Bücher