Buch des Flüsterns
allzu sehr entzückt gewesen wäre. Mit ernstem Blick, die Brust voller Medaillen und mit der nicht eben glücklichen Aura der armlosen Büsten schaute General Antranik von oben auf den anderen General herab, auf Dro, mit dem zusammen er gekämpft hatte und der nun den Sonntagsanzug trägt, den Hut in der Hand hält und mit gepflegtem Bart irgendwie verbürgerlicht wirkt. Den anderen Protagonisten der Denkmalsenthüllung kann man im Hintergrund kaum erkennen. Es ist Grigore Trancu-Iași, einer der Repräsentanten der großen armenischen Familien aus der Moldau, mehrfacher Minister und ehemaliger Präsident des Verbands der Armenier sowie Autor des ersten Arbeitsgesetzbuches für Rumänien. Trancu-Iași hat bestimmt zur Eröffnung rumänisch gesprochen, worauf General Dro die vielen, die kaum einen Kleinhandel zuwege gebracht und eine Familie gegründet hatten oder – die Glücklicheren unter ihnen – ihre durch Massaker und Vertreibungen verstreuten Familienmitglieder wieder vereint hatten, auf Armenisch zum Kampf aufrief; sie waren wohl geneigt, die Eloquenz und den Enthusiasmus des Generals zu bewundern, aber nur allzu wenige schienen ihm folgen zu wollen. Das Datum ist, gemäß einem guten Brauch meines Großvaters, auf der Rückseite mit Kopierstift notiert: 13. April 1936.
Über General Dro ist nach dem Krieg in Rumänien kaum noch gesprochen worden. Die ihn aus der Nähe gekannt hatten, sind entweder aus dem Land geflohen oder verhaftet und im besten Fall nach Sibirien verschleppt worden. Die ihn nicht so gut gekannt hatten, obwohl sie von ihm gehört haben mussten, zogen es vor zu schweigen, um nicht unter Verdacht zu geraten. Und hinsichtlich dessen, was Dro während des Zweiten Weltkriegs organisiert hatte, war das Schweigen total. Ebenso was seine Waffen betraf. Wenn es sie je gegeben hatte, so waren sie durch das Schweigen viel besser verborgen, als Waffenkammern oder belaubte Waldböden es je tun könnten. In einem Wald also, wie mit ersterbender Stimme mein Taufpate Sahag Șeitanian zu mir gesagt hatte. Gewehre und Pistolen und Patronen, eingegraben wie Samenkörner. Die Ungenauigkeit der Ortsangabe bot die Chance zur Legendenbildung. Auf diese Weise werden die Waffen des Generals Dro für ewige Zeiten unauffindbar bleiben.
Drastamat Kanayan, General Dro, vormaliger Kämpfer in den Bergen und Verteidigungsminister in der kurzzeitig bestehenden Republik Armenien, einer der Helden der Schlacht von Sardarapat, in Moskau isoliert und mit Zwangsaufenthalt belegt, erhielt 1924 die Genehmigung, das Gebiet der Sowjetunion zu verlassen. Nun sollte er in Ploiești und in Bukarest wohnen. Der Grund, weshalb der NKWD beschlossen hatte, General Dro freizulassen, ist bis heute nicht bekannt. Wer meint, General Dro sei verschont worden, damit es in Armenien zu keinen Erhebungen komme, schreibt dem NKWD Überlegungen zu, die dieser niemals angestellt hat. Mag sein, dass sie aufgrund maßloser Überheblichkeit so handelten und – schließlich behielten sie die Familienmitglieder des Generals als Geiseln – mit ins Kalkül gezogen hatten, ihn möglicherweise benutzen zu können. Hierin aber täuschten sie sich gewaltig und sollten es bereuen, aber wie in vielen anderen Fällen drückte sich die bolschewistische Reue nicht in Demut oder Trauer aus, sondern in blutigen Repressalien, denen von Ploiești bis Odessa und Rostow am Don Tausende Menschen zum Opfer gefallen sind. Auch der eine Sohn und die Frau des Generals waren darunter, sie fanden in der sibirischen Taiga den Tod. Tatsache ist, dass der General zu seinen Lebzeiten nicht mehr nach Armenien zurückgekehrt ist, dies geschah erst am 24. Mai 2000, genau zweiundachtzig Jahre nach der Schlacht bei Sardarapat und vierundvierzig Jahre nach seinem Tod. Nun wurde er mit militärischen Ehren und unter Beteiligung einer gewaltigen Menschenmenge in Baș-Abaran noch einmal beigesetzt. Begleitet wurde er von Gayane, seiner zweiten Frau, die er 1935 in Rumänien geheiratet hatte. Und wie es bei Frauen öfter als bei den Männern geschieht, war es Gayane gelungen, das Jahrhundert zu überbieten, und dies sogar kampflos. Im Jahre 1900 in Nukhi im Karabach geboren, dann im rumänisch gewordenen Bessarabien in Cetatea Albă lebend, ist Gayane Kanayan im Alter von 105 Jahren am 24. April 2005 in Boston gestorben, am gleichen Tag, an dem die armenischen Gemeinden weltweit den neunzigsten Jahrestag des Genozids von 1915 begingen.
Die Geschichte der Waffen von General Dro
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