Buchanan - 06 - Schattentanz
passierte nur mit ihr? Sie hatte das Gefühl, sich in eine völlig andere Person zu verwandeln. Vielleicht schmolz ihr Gehirn langsam in der Hitze. Oder vielleicht hatte sie zu oft geduscht, und jetzt waren alle ihre Gehirnzellen in den Abfluss geflossen.
Dehydrierung durch Sonneneinstrahlung. Das war es.
Sie schlüpfte in T-Shirt und Boxershorts und putzte sich die Zähne. Mit der Zahnbürste im Mund betrachtete sie sich im Spiegel. Fleckige Haut und Sommersprossen. Sie war wirklich eine Trophäe, vor allem in ihrem Pyjama.
Jordan legte die Zahnbürste weg, griff nach einer Dose von Kates Bodylotion und öffnete die Tür. Sie hatte sich nie Gedanken darüber gemacht, wie sie aussah, aber auch das hatte sich geändert.
Jordan wusste, was das wirkliche Problem war. Bis zu diesem Moment hatte sie es nicht zugeben wollen. Noah. Oh ja, er war das Problem. Er hatte Schuld, und sie wusste nicht, was sie dagegen machen sollte.
Sich Gedanken darüber zu machen, würde ihre Situation nicht verbessern. Wenn sie klug wäre, würde sie so schnell sie konnte weglaufen. Aber sie war wohl nicht besonders klug, denn im Moment konnte sie nur daran denken, wieder mit ihm ins Bett zu gehen.
Sie brauchte eine Ablenkung, um nicht ständig an Sex zu denken, und beschloss, sich mit den Papieren des Professors ins Bett zu legen und eine weitere gruselige Geschichte über Blutvergießen, Enthauptungen, Verstümmelungen und die Folgen des Aberglaubens zu lesen. Dadurch würde sie bestimmt auf andere Gedanken kommen.
Wo war ihre Brille? Sie hatte sie neben dem Kontaktlinsenkästchen im Badezimmer vermutet, aber da war sie nicht. Sie trat an den Schreibtisch und stieß sich dabei den Zeh am Stuhl. Stöhnend hüpfte sie auf einem Bein herum, während sie in ihrem Beutel kramte.
»Noah«, fragte sie, »hast du meine …«
»Auf dem Tisch«, rief er durch die offene Verbindungstür zwischen ihren Zimmern.
Woher wusste er, was sie wollte? Konnte er Gedanken lesen? Ihre Brille lag tatsächlich auf dem Tisch.
»Woher wusstest du …«
»Du blinzelst«, antwortete er, bevor sie die Frage zu Ende bringen konnte. »Und du hast dich am Stuhl gestoßen.«
»Ich habe nicht aufgepasst.«
Er lachte. »Du hast nicht gesehen, wo du langgegangen bist.«
Auf den Brillengläsern waren Wassertropfen, und Jordan ging wieder ins Badezimmer, um sie zu putzen. Sie glaubte, es hätte an ihrer Tür geklopft, und rief: »Noah, kannst du bitte aufmachen?«
Ein paar Sekunden später hörte sie eine Frauenstimme aus Noahs Zimmer. Anscheinend hatte es an seiner Tür geklopft, nicht an ihrer. Neugierig setzte sie die Brille auf und ging ins Schlafzimmer. Na toll. Amelia Ann versuchte mal wieder, ihn zu verführen. Noah lehnte an der Tür, aber als er Jordan hörte, drehte er sich zu ihr um und zwinkerte ihr zu.
Ihm gefiel diese Vorzugsbehandlung natürlich. Jordan allerdings nicht. Sie starrte die Frau an. Amelia Ann war angezogen, als ob sie in einer anrüchigen Cocktailbar bedienen würde: superkurze Shorts, rote offene Pumps mit Stiletto-Absätzen und eine tief ausgeschnittene Bluse, die zuzuknöpfen sie anscheinend vergessen hatte. Es sah schon fast komisch aus, wie sie sich über das Bett beugte, um die Laken glatt zu ziehen, aber Jordan konnte nicht darüber lachen. Amelia Anns Benehmen war peinlich.
Leise vor sich hin murmelnd schlug Jordan ihr Bett selbst auf. Sie legte einen Stapel Papiere auf das Bett, holte sich eine Flasche Wasser und setzte sich hin, um zu lesen.
Das Telefon im Zimmer klingelte. Ihre Schwester Sidney rief an. »Du errätst nie, wo ich bin.«
»Ich will nicht raten«, erwiderte Jordan. »Sag es mir.«
»Siehst du die Nummer nicht auf dem Display?«
»Du hast mich in meinem Motelzimmer angerufen, Sidney. Das Telefon hat kein Display.«
»Ich bin in Los Angeles und sitze auf Kisten. Da ich erst in anderthalb Wochen in mein Wohnheim ziehen kann, musste ich in einem Hotel absteigen. Es ist ein sehr schönes Hotel«, gestand sie. »Der Portier hat mir das gesamte Gepäck hinaufgetragen.«
»Ich dachte, Mutter wollte nächste Woche mit dir fahren. Warum bist du denn schon so früh dort?«
»Alles hat sich plötzlich geändert«, erwiderte Sidney. »Ich war eine Nacht bei meiner Freundin Christy, und als ich am nächsten Morgen nach Hause kam, hatte Mom schon meinen Flug gebucht. Sie hatte es auf einmal sehr eilig, mich loszuwerden. Ich glaube, ich habe sie wahnsinnig gemacht, weil ich ständig davon gesprochen hatte, dass ich
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