Bucheckern
geöffneten Fenster: „Die Kamera im Hubi funktioniert anscheinend ganz toll, haben die Kollegen mir gerade gesagt!“
„Na, dann sind wir ja mal gespannt auf die Ergebnisse“, wollte Lindt noch antworten, aber da war der Volvo schon in einer Staubwolke verschwunden.
Der Wirt
„Siehst du, Paul, der freut sich jetzt wie ein Schneekönig, dass er mitfliegen darf, lassen wir ihm halt seinen Spaß. Aber wir sollten uns auch was gönnen. Da drüben am Wald ist doch die kleine Gastwirtschaft. Ich könnte mal was zwischen die Zähne vertragen – wie steht’s bei dir?“
Der Andere war gleich einverstanden. Er kannte den Wirt noch von früher, als er mit seiner Familie nicht weit entfernt im Stadtteil Rüppurr gewohnt hatte. Die kleine Waldgaststätte war häufig Ziel eines Sonntagsausflugs zum Tierpark im Oberwald gewesen.
„Paul, Mensch, lange nicht gesehen, wie geht’s denn?“ begrüßte ihn der Wirt.
„Ja, seit unsere Kinder groß sind und wir in Neureut wohnen, waren wir gar nicht mehr hier. Eigentlich schade“, antwortete ihm Wellmann, „aber dein Essen schmeckt bestimmt immer noch so gut wie früher.“
„Worauf du dich verlassen kannst, was darf ich bringen? Heute habe ich ganz frische Steinpilze, die letzten der Saison, die brate ich in Olivenöl, mit einem Hauch Knoblauch und dazu hausgemachte Tagliatelle.“
„Hört sich wirklich vielversprechend an, Paul, was meinst du?“ Oskar Lindt lief buchstäblich das Wasser im Mund zusammen, Er liebte nicht nur französischen Rotwein und Rohmilchkäse, sondern hatte auch für die italienische Küche einiges übrig.
Sie folgten also ohne zu zögern der Empfehlung des Wirts und Lindt musterte interessiert den Gastraum, während er sich seine kurze gerade Pfeife stopfte.
„Paul, lass uns mal den Tisch wechseln, ich möchte gerne dort drüben am Fenster sitzen“, sagte er und winkte dem Wirt, der gerade die Getränke bringen wollte.
„So toll ist die Aussicht nach dieser Seite leider nicht“, entschuldigte sich der, „ein paar Wiesen und Felder zwar, aber dahinter das scheußliche Industriegebiet. Auf der anderen Seite zum Wald hin sitzt man eigentlich schöner.“
Doch Lindt hatte mit voller Absicht den Anblick der Fabriken gewählt und auch Wellmann musterte die Gegend intensiv. „Da haben wir wohl den richtigen Riecher gehabt, Oskar. Dieses Lokal liegt etwas erhöht, gar nicht ungeschickt für uns. Wir können fast den ganzen Bereich mit dem neuen Gitterzaun vom ›Blanco‹-Werk einsehen.“
„Etwas weit weg, aber immerhin, bei Spaghetti, nein, bei hausgemachten Tagliatelle mit frischen Steinpilzen – wirklich nicht schlecht.“ Lindt schmunzelte: „Oder wärst du jetzt gerne da oben im Hubschrauber?“
„Ach, in unserem Alter, lassen wir die Freude lieber dem Jan.“
Der Wirt brachte das Essen und kam noch mal auf die Aussicht zu sprechen: „Eigentlich muss ich froh sein, dass damals die Pläne zur Erweiterung der Fabrik dort nicht realisiert wurden. Sonst hätte ich einpacken können.“
Wellmann pflichtete ihm bei: „Das kannst du aber laut sagen, ich erinnere mich auch noch gut an das Vorhaben.“
„Bis auf hundertfünfzig Meter wollten die mir auf die Pelle rücken. So weit wäre das Areal in diese Richtung ausgedehnt worden. Die ganze Gartenanlage da hätten sie platt gemacht und sogar bis zur Straße wollten sie die Fläche einbeziehen. Alles nur wegen ›Blanco‹ – und jetzt, was ist jetzt – über die Hälfte vom Werksgelände liegt still. Zwei Drittel der Mitarbeiter haben sie entlassen und nur in den neuen Hallen wird noch gearbeitet.“
„Wissen Sie etwas über die Gründe, warum sich die Firma so entwickelt hat“, fragte ihn Oskar Lindt, während er die ersten Nudeln um die Gabel wickelte, denn Gastwirte waren seiner Erfahrung nach immer gut informiert.
„Es gibt nur Spekulationen und ich will ja auch nichts gesagt haben“, antwortete der Wirt, aber sein Tonfall verriet, dass er vermutlich recht umfassend über den Industriebetrieb im Bilde war. „Früher, ja da kamen die Arbeiter abends noch auf ein Bier hier rein. Viele wohnten nicht weit weg und fuhren mit dem Rad zur Schicht. Auch gekegelt haben sie bei mir, drunten auf meinen Bahnen.
Aber dann hat die Firmenleitung innerhalb von nicht mal ganz zwei Jahren einen radikalen Personalabbau durchgezogen. Offiziell bekam man immer zu hören, der Grund sei, dass es mit der Erweiterung nicht geklappt hätte – da war die Firma natürlich fein raus und konnte
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