Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Buddhas kleiner Finger

Buddhas kleiner Finger

Titel: Buddhas kleiner Finger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
Vom Netzwerk:
asiatischen Gesicht, den ich insgeheim sofort »Baschkire« taufte.
    Wir stiegen also an dem salutierenden Baschkiren vorbei in den Waggon und standen auf einem kurzen Gang. Tschapajew wies auf eine der Türen.
    »Das ist Ihr Coupé«, sagte er und zog seine Uhr aus der Tasche »Mit Ihrer Erlaubnis werde ich Sie ein Weilchen allein lassen – ich habe noch ein paar Anweisungen zu geben. Die Lokomotive und die Wagen mit den Webern müssen angehängt werden.«
    »Der Kommissar von denen, dieser Furmanow, hat mir nicht gefallen«, sagte ich. »Eine künftige Zusammenarbeit könnte schwierig werden.«
    »Zerbrechen Sie sich doch nicht den Kopf über Dinge, die nicht in der Gegenwart liegen«, sagte Tschapajew. »Das Künftige, wie Sie es nennen, will erst einmal heraufbeschworen sein. Vielleicht wird es in Ihrem Künftigen gar keinen Furmanow geben. Vielleicht gibt es dort nicht einmal Sie.«
    Ich wußte nicht, was ich auf solche Merkwürdigkeiten sagen sollte, und schwieg.
    »Richten Sie sich ein, und entspannen Sie ein wenig«, sagte er. »Wir sehen uns zum Abendessen.«
    Das Coupé machte einen verblüffend zivilen Eindruck; vor das Fenster in der gepanzerten Wand war eine Gardine gezogen, und auf dem kleinen Tisch stand eine Vase mit Nelken. Plötzlich fühlte ich, wie ausgelaugt ich war, und ließ mich sogleich auf dem Bett nieder; da saß ich und konnte mich eine Zeitlang nicht mehr rühren. Dann fiel mir ein, daß ich mich tagelang nicht gewaschen hatte; ich trat hinaus auf den Gang. Und seltsam: Hinter der ersten Tür, die ich aufs Geratewohl öffnete, waren Waschraum und Toilette.
    Ich genoß die heiße Dusche (anscheinend wurde das Wasser mit einem Kohleofen erhitzt), kehrte zurück ins Coupé und entdeckte, daß das Bett inzwischen bezogen war, auf dem Tisch dampfte ein Glas starker Tee. Ich trank mich satt, streckte mich auf dem Bett aus und schlummerte, berauscht vom fast vergessenen Duft des frisch gestärkten Lakens, sehr bald ein.
    Als ich erwachte, war es beinahe dunkel. Den Waggon erschütterte ein rhythmisches Beben, die Räder ratterten über Schienenstöße. Auf dem Tisch (da, wo vorhin das leere Teeglas gestanden hatte) fand sich nun, wer weiß woher, ein Bündel Kleider: darin ein tadelloser schwarzer Anzug, ein Paar glänzende Lackschuhe, Hemd, Unterwäsche und mehrere Krawatten – man durfte offenbar wählen. Ich wunderte mich über gar nichts mehr. Anzug und Schuhe paßten wie angegossen; nach einigem Zögern entschied ich mich für eine schwarzgepunktete Krawatte und besah mich in dem Spiegel, der in der Tür eines Wandschranks eingelassen war. Der Anblick stellte mich zufrieden, auch wenn der Stoppelbart sich etwas unvorteilhaft auswirkte. Ich zog eine der blaßlila Nelken aus der Vase, knickte den Stengel ab und fädelte mir die Blüte ins Knopfloch. Wie unerreichbar schön erschien mir in diesem Moment mein früheres Petersburger Leben!
    Ich verließ das Coupé, näherte mich der Tür am Ende des Gangs und klopfte. Es kam keine Antwort. Ich klinkte die Tür auf und blickte in einen geräumigen Salon. In seiner Mitte stand ein Tisch, gedeckt für drei, mit leichten Speisen und einigen Flaschen Champagner; außerdem gab es Kerzen, deren Flammen im Takt mit dem Rattern der Räder zuckten. Es roch ein klein wenig nach Zigarre. Die Wände waren in hellen Goldtönen tapeziert; dem Tisch gegenüber befand sich ein großes Fenster, hinter dem sich die Lichter der Nacht langsam durch die Dunkelheit schnitten.
    In meinem Rücken regte sich etwas. Ich zuckte zusammen und wandte mich um. Hinter mir stand der Baschkire, den ich vor dem Waggon gesehen hatte. Er warf mir einen stoischen Blick zu, kurbelte dann das in der Ecke stehende Grammophon mit dem silberglänzenden Trichter an und senkte die Nadel. Schaljapins schmetternder Baß erklang – etwas von Wagner, wie mir schien. Ich fingerte in der Tasche nach den Papirossy, während ich überlegte, für wen wohl das dritte Gedeck auf dem Tisch bestimmt sein mochte.
    Lange mußte ich nicht nachdenken. Die Tür ging auf, Tschapajew erschien. Er trug einen schwarzen Samtanzug, ein weißes Hemd und eine blutrote Fliege aus demselben purpurschillernden Moiréstoff, der auch seinen Mantel zierte. Gleich hinter Tschapajew betrat eine junge Frau den Salon.
    Sie trug das Haar extrem kurz – man konnte es schwerlich eine Frisur nennen. Auf die sich kaum abzeichnende, von dunklem Samt verhüllte Brust fiel eine Kette aus stattlichen Perlen; ihre Schultern waren

Weitere Kostenlose Bücher