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Buddhas kleiner Finger

Buddhas kleiner Finger

Titel: Buddhas kleiner Finger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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verebbt war, fuhr ich fort:
    »Und nun, Genossen, für euch die letzten Worte auf den Weg vom Genossen Furmanow!«
    Furmanow nickte mir dankbar zu und schritt zur Brüstung. Tschapajew zwirbelte sich den Bart und lachte, während er etwas mit seinem Nebenmann im Biberpelz besprach. Als er mich herankommen sah, klopfte er dem Offizier auf die Schulter, nickte den übrigen zu und verließ die Tribüne. Derweil hatte Furmanow zu sprechen begonnen:
    »Genossen! Uns bleiben noch wenige Minuten. Wenn die letzten Glocken verklungen sein werden, legen wir ab zu fernen Gestaden voller mächtiger, marmorner Klippen, an denen wir uns stählen werden.«
    Er sprach jetzt, ohne zu stottern, fließend und mit klingender Stimme.
    Wir schlugen uns durch die Phalanx der Arbeiter (als ich sie, die ehrerbietig Platz machten, so ganz aus der Nähe sah, kam mir mein Mitgefühl fast gänzlich abhanden) und liefen zum Bahnhof hinüber. Tschapajew ging schnellen Schrittes, so daß ich Mühe hatte, ihm zu folgen. Ab und zu erwiderte er einen Gruß, indem er die Hand mit der gelben Stulpe kurz an die Mütze riß. Sicherheitshalber tat ich ihm diese Geste nach und beherrschte sie nach kurzer Zeit so vortrefflich, daß ich mich all diesen über den Bahnhof wuselnden Möchtegern-Übermenschen beinahe schon zugehörig fühlte.
    Als wir den Bahnsteig endlich erreicht und überquert hatten, sprangen wir hinunter auf den gefrorenen Boden und irrten nunmehr durch das Labyrinth der verschneiten Waggons auf den Rangiergleisen. Überall schauten wir in müde Gesichter; die immergleiche Grimasse der Verzweiflung ließ all diese Männer wie zu einer neuen Rasse verschmelzen. Mir fiel ein Gedicht von Solowjow dazu ein, und ich mußte lachen.
    »Was haben Sie?« fragte Tschapajew.
    »Nichts weiter«, sagte ich. »Ich weiß jetzt, was Panmongolismus ist.«
    »Was denn?«
    »Ach, so eine Lehre«, sagte ich, »die zu Zeiten von Dschingis-Khan in Polen Mode war.«
    »Aha«, sagte Tschapajew. »Interessant, was Sie so für Wörter kennen.«
    »Na, im Vergleich zu Ihnen ist es bei mir nicht weit her. Das wollte ich Sie noch fragen: Was ist denn ein Bohei?«
    »Ein was?« fragte Tschapajew und runzelte die Stirn.
    »Ein Bohei«, wiederholte ich.
    »Wo haben Sie das denn aufgeschnappt?«
    »Wenn ich mich nicht irre, haben Sie in der Rede vorhin von Ihrem Kommandeursbohei gesprochen.«
    »Ach so«, Tschapajew schmunzelte, »jetzt weiß ich, wovon Sie reden. Wissen Sie, Pjotr, wenn man zu den Massen spricht, ist es vollkommen gleichgültig, ob die Worte, die man wählt, für einen selbst Sinn haben. Wichtig ist nur, daß die anderen sie verstehen. Man muß auf die Erwartungen der Massen eingehen. Manche erreichen das, indem sie sich die Sprache aneignen, die die Masse spricht. Ich bevorzuge den direkteren Weg. Wenn Sie also wissen wollen, was ein Bohei ist, dürfen Sie nicht mich fragen. Fragen Sie die, die auf dem Platz standen.«
    Mir war, als verstünde ich, was er meinte. Schon vor längerem hatte ich einmal ganz ähnliche Schlüsse gezogen, nur betrafen sie damals Gespräche über Kunst, die mich ob ihrer Einförmigkeit und Ziellosigkeit allzeit deprimierten. Da mich die Art meiner Betätigungen zwangsläufig mit einer Vielzahl hartgesottener Hohlköpfe aus literarischen Kreisen zusammenbrachte, hatte ich die Fähigkeit entwickelt, an ihren Gesprächen teilzuhaben, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, worum sie sich gerade drehten, wobei ich mit so absurden Wörtern wie »Realismus«, »Theurgie« oder »theosophischer Koks« frei zu jonglieren lernte. In Tschapajews Terminologie hieß das: die Sprache zu lernen, die die Masse spricht. Selbst aber, soviel verstand ich, gab er sich gar nicht die Mühe, den Sinn der Wörter, die er benutzte, zu ergründen. Wie er das anstellte, war mir allerdings unklar. Vielleicht fiel er in eine Art Trance und empfing so die Emanationen in der Luft liegender Erwartungen, um daraus das Muster zu stricken, das der Menge vertraut war.
    Den Rest des Weges schwiegen wir. Tschapajew führte mich immer weiter weg vom Bahnhof; zwei-, dreimal waren wir schon unter stillgelegten Zügen hindurchgekrochen. Es herrschte Ruhe, nur von ferne tönten manchmal die übertrieben schrillen Pfiffe der Lokomotiven. Endlich blieben wir vor einer Reihe von Waggons stehen – darunter war ein gepanzerter. Auf dessen Dach rauchte anheimelnd der Schornstein, und an der Tür hielt jemand Wache. Es war ein stattlicher Bolschewik mit gegerbtem

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