Buddhas kleiner Finger
die Becher randvoll.
»Sehr zum Wohl«, sagte er und gab Serdjuk einen davon in die Hand.
Kurz entschlossen kippte Serdjuk den Inhalt in den Rachen. Die Flüssigkeit schmeckte wie mit Reisbrühe verdünnter Wodka, und sie war heiß – dies vor allem war wohl der Grund, weshalb sich Serdjuk im nächsten Moment auf die Fußmatten erbrach.
Scham und Ekel bemächtigten sich seiner daraufhin so heftig, daß er nichts weiter tun konnte, als die Augen zu schließen.
»Oh«, sagte Kawabata höflich, »das muß ja ein Hundewetter sein.«
Er klatschte in die Hände.
Serdjuk blinzelte durch die Wimpern. Zwei Mädchen schwebten ins Zimmer, ähnlich ausstaffiert wie die auf den Bechern. Sogar ihre Augenbrauen bewegten sich auf gleicher Höhe, Serdjuk schaute näher hin und sah, daß sie künstlich auf die Stirn getuscht waren. Kurz, die Ähnlichkeit war so vollkommen, daß nur die vor Sekunden erlittene Schmach ein Abgleiten der Gedanken in gänzlich andere Richtung verhinderte. Flink klappten die Mädchen die besudelten Fußmatten zusammen, ersetzten sie durch neue und schwebten wieder hinaus – nicht durch die Tür, durch die Serdjuk gekommen war, sondern durch eine andere; augenscheinlich ließ sich noch eines dieser Wandpaneele zur Seite schieben.
»Bitte«, sagte Kawabata.
Der Japaner hielt ihm bereits einen neuen Becher Sake hin. Serdjuk lächelte kläglich und hob die Schultern.
»Diesmal«, sagte Kawabata, »wird alles gut.«
Serdjuk trank. Tatsächlich erging es ihm nun anders: Der Sake passierte die Kehle ohne Zwischenfälle und schickte einen wohltuenden Wärmeschauer durch den Körper.
»Sie müssen wissen, daß ich …«, hob Serdjuk wieder an.
»Erst noch einen«, sagte Kawabata.
Das Faxgerät auf dem Fußboden klingelte, gleich darauf kroch ein dicht mit Hieroglyphen bedecktes Papier aus ihm hervor. Kawabata wartete, bis es zum Stillstand kam, riß das Blatt aus dem Gerät und vertiefte sich in das Schreiben, worüber er Serdjuk völlig zu vergessen schien.
Derweil blickte Serdjuk sich im Zimmer um. Die Holzverkleidung der Wände war einheitlich. Jetzt, wo der Sake die Folgen des Nostalgieschubs vom Vortag verscheucht hatte, schien jede dieser großen Tafeln eine Tür zu sein, die ins Ungewisse führte – mit Ausnahme von einer. Dort hing ein großes Bild.
Wie alles in Herrn Kawabatas Büro kam einem auch dieses Kunstwerk sonderbar vor. In der Mitte eines riesigen Bogens Papier war eine kleine Zeichnung. Flüchtig hingeworfene, nichtsdestoweniger exakte Striche ergaben mit der Zeit einen nackten Mann (die Figur stark stilisiert, nur das Geschlechtsteil in naturalistischer Ausführung), vor einem Abgrund stehend. In jeder Hand ein Schwert, am Hals ein paar schwere Gewichte verschiedenen Kalibers, die Augen mit einem weißen Lappen verbunden; unmittelbar vor seinen Füßen gähnte die Schlucht. Daneben gab es noch einige weitere Details: eine im Nebel versinkende Sonne, Vögel am Himmel und das Dach einer Pagode im Hintergrund; von diesen romantischen Zutaten abgesehen, rief das Bild beim Betrachter den Eindruck völliger Ausweglosigkeit hervor.
»Das ist unser Nationalkünstler Akechi Mitsuhide«, sagte Kawabata, »der, der sich kürzlich an einem Fugufisch vergiftet hat. Wie würden Sie denn das Thema dieses Blattes umreißen?«
Serdjuks Augen huschten über den dargestellten Mann, vom nackten Glied hinauf zu den vor der Brust hängenden Gewichten.
»Ja nun«, hörte er sich sagen. »Bye-bye, Nackedei!«
Etwas Klügeres fiel ihm nicht ein.
»Nake! Dei!« rief Kawabata, klatschte in die Hände und lachte.
»Noch einen Sake«, sagte er dann.
»Wissen Sie«, wandte Serdjuk ein, »ich hätte nichts dagegen, aber sollten wir nicht lieber erst das Bewerbungsgespräch …. Ich werd so schnell betrunken.«
»Das Gespräch ist gelaufen«, sagte Kawabata und goß ein. »Sehen Sie, unsere Firma existiert schon seit langer Zeit – wenn Sie wüßten, wie lange, Sie würden es nicht glauben. Das wichtigste für uns ist die Tradition. Wenn ich mich etwas bildhaft ausdrücken darf: Man gelangt zu uns nur durch eine sehr schmale Tür, und Sie haben sie soeben ganz furchtlos durchschritten. Gratuliere.«
»Was für eine Tür?« fragte Serdjuk.
Kawabata wies auf das Bild.
»Diese hier«, sagte er. »Die einzige, die zu Taira Incorporated führt.«
»Ich verstehe nicht ganz«, sagte Serdjuk. »Soviel ich weiß, treiben Sie Handel und haben da …«
Kawabata hob die Hand.
»Oftmals bemerke ich mit
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