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Buddhas kleiner Finger

Buddhas kleiner Finger

Titel: Buddhas kleiner Finger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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betrachten Sie noch einmal das Bild an der Wand«, sagte er.
    »Ja«, sagte Serdjuk.
    »Sehen Sie, wie es aufgebaut ist? Ein Segment der Wirklichkeit mit ›NAKE‹ und ›DEI‹ in der Mitte, darum herum Leere. Aus ihr kommt es, in sie geht es. Wir Japaner pflegen das Universum nicht mit unnötigen Fragen nach den Gründen seiner Existenz zu löchern. Gott bekommt von uns keinen Gottesbegriff aufgebürdet. Und doch ist der leere Raum auf dem Bild derselbe wie auf Burljuks Ikone. Ist das nicht eine bemerkenswerte Übereinstimmung?«
    »Gewiß«, sagte Serdjuk und hielt Kawabata den leeren Becher hin.
    »Sie werden diese leeren Räume in der westlichen religiösen Malerei nicht finden«, sagte Kawabata, während er nachgoß. »Dort ist alles mit Materie gefüllt – irgendwelchen Vorhängen, Faltenwürfen, Becken mit Blut und allem möglichen. Die besondere Sicht auf die Realität, wie sie in diesen beiden Kunstwerken zum Ausdruck kommt, verbindet nur euch und uns. Darum meine ich: Was Rußland wirklich braucht, ist die alchimistische Ehe mit dem Osten.«
    »Ach«, sagte Serdjuk, »ehrlich, davon habe ich erst gestern …«
    »Und zwar nur mit dem Osten«, ließ Kawabata ihn nicht zu Wort kommen, »nicht etwa mit dem Westen. Verstehen Sie? In den Tiefen der russischen Seele gähnt dieselbe Leere wie in den Tiefen der japanischen. Und aus ebendieser Leere entsteht die Welt stündlich, sekündlich immer wieder neu. Auf Ihr Wohl.«
    Erst trank Serdjuk, dann Kawabata, der nun die leere Flasche in der Hand drehte.
    »So ist es«, sagte er, »der Wert des Gefäßes besteht in dem, was nicht darin ist. Dabei ist dieser Wert in den letzten paar Minuten ins Unermeßliche gewachsen, sehen Sie nur.
    Das Gleichgewicht zwischen Wert und Nicht-Wert ist gestört, und das darf nicht sein. Ein gestörtes Gleichgewicht ist das Schlimmste, was man sich denken kann.«
    »Äh, ja«, sagte Serdjuk, »genau. Mehr ist wohl nicht da?«
    »Wir könnten noch was holen«, sagte Kawabata und schaute zur Uhr. »Dann würden wir aber den Fußball verpassen.«
    »Interessiert Sie das?«
    »Na klar. Ich bin Dynamo-Fan!« sagte Kawabata und zwinkerte auf eigentümliche Weise.
     
    In der abgerissenen Kapuzenjacke und den Gummistiefeln ließ Kawabata endgültig jede Ähnlichkeit mit einem Japaner vermissen. Dagegen schien er nun der perfekte Zuzügler aus Rostow am Don zu sein – und Serdjuk ahnte sogar, woran das lag. Diese Ahnungen waren allerdings eher betrüblich.
    Serdjuk wußte nämlich längst, daß die meisten Ausländer, denen man auf Moskaus Straßen begegnete, gar keine Ausländer waren, sondern Kleinhandeltreibende, Marktsteher, die sich ein bißchen Geld zusammengehehlt und es anschließend im Kalinka-Stockman-Shop umgesetzt hatten. Echte Ausländer, von denen sich in Moskau Unmengen herumtrieben, kleideten sich aus Sicherheitsgründen schon seit Jahren so, daß sie sich von gewöhnlichen Passanten nicht unterschieden. Informationen darüber, wie ein gewöhnlicher Passant auf Moskauer Straßen aussah, bezogen sie logischerweise aus den Sendungen von CNN. Die wiederum – immer auf der Jagd nach Moskauern, die, der Fata Morgana der Demokratie folgend, durch die ausgedörrten Reformwüsten irrten – verwendeten für ihre Nahaufnahmen in neunzig Prozent der Fälle als Moskauer verkleidete Angehörige der amerikanischen Botschaft, da diese bei weitem echter wirkten als die zu Ausländern herausgeputzten Moskauer. So daß dieser Kawabata, obwohl (oder besser gesagt: weil) er mit einem zugezogenen Rostower zu verwechseln war und zumal er kein sehr japanisches Gesicht hatte, hundertprozentig ein reinrassiger Japaner war, einer, der eben für einen Moment aus seinem Büro hervorgekrochen war und in das Moskauer Halbdunkel abtauchte.
    Dazu kam, daß Kawabata Serdjuk einen jener Wege entlangschleuste, die kein Einheimischer benutzte. Er durchquerte so viele dunkle Hinterhöfe, zugige Hausflure und Löcher in Drahtzäunen, daß Serdjuk nach wenigen Minuten völlig die Orientierung verloren hatte und seinem zielstrebigen Weggenossen blindlings folgen mußte. Schließlich kamen sie in einer dunklen verwinkelten Gasse heraus, wo ein paar Buden standen; Serdjuk verstand, daß sie am Ziel waren.
    »Was nehmen wir?« fragte er.
    »Ich denke, am besten einen Liter Sake«, sagte Kawabata. »Das ist jetzt das richtige. Und was zu essen.«
    »Sake?« fragte Serdjuk verwundert. »Sagen Sie bloß, hier gibt es Sake?«
    »Hier ja«, sagte Kawabata. »Normalen

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