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Buddhas kleiner Finger

Buddhas kleiner Finger

Titel: Buddhas kleiner Finger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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noch mal? ›ln ihrem Keil ist noch ein kleiner Zwischenraum – vielleicht ist er für mich gelassen …‹«
    »Jaja«, stimmt Kawabata zu, »mehr als so einen kleinen Zwischenraum braucht es ja gar nicht! Beim Gott Shâkyamuni, die ganze Welt mit all ihren Problemen ließe sich locker zwischen zwei Kranichen unterbringen, was sage ich, sie paßte zwischen die Schwungfedern eines einzigen … Welch poetischer Abend! Wollen wir nicht noch ein Becherchen leeren? Auf den Platz im Kranichkeil, der Ihnen nun endlich sicher ist?«
    Von diesen Worten ging etwas Düsteres aus, doch Serdjuk gab darauf nicht viel. Woher sollte Kawabata denn wissen, daß das Lied von den Seelen toter Soldaten handelte.
    »Mit Vergnügen«, sagte Serdjuk, »nur vielleicht ein bißchen später. Ich …«
    Da pochte es laut gegen die Tür. Kawabata drehte sich um und rief etwas japanisches, die Schiebetür flog auf, und im Spalt erschien das Gesicht eines Mannes – gleichfalls von südlichem Einschlag. Es sagte etwas, und Kawabata nickte.
    »Ich muß Sie ein Weilchen allein lassen«, sagte er zu Serdjuk. »Es gibt anscheinend wichtige Neuigkeiten. Wenn Sie mögen, schauen Sie sich derweil ein paar von den Kunstbänden an«, er deutete mit dem Kopf zum Regal, »oder gehen Sie einfach in sich.«
    Serdjuk nickte. Kawabata verließ eilig den Raum und zog die Tür hinter sich zu. Serdjuk trat an das Regal und besah sich die lange Reihe bunter Buchrücken, dann ging er zurück in die Ecke und setzte sich auf ein Kissen, den Kopf gegen die Wand gelehnt. Diese ganzen Kupferstiche interessierten ihn jetzt überhaupt nicht mehr.
    Im Haus war es still. Allerdings hörte man von irgendwoher Hammerklopfen – vermutlich wurde eine Stahltür eingesetzt. Nebenan hörte man die Mädchen in gedämpftem Ton miteinander zanken, sie waren gleich hinter der Wand, doch kaum einer ihrer Flüche ließ sich verstehen, und die unterdrückten, übereinanderliegenden Stimmen verschmolzen zu einem leisen Rauschen, das beruhigend wirkte, so als wäre da drüben ein Garten, wo der Wind in den blühenden Kirschbaumzweigen spielte.
     
    Serdjuk erwachte von einem schwachen Maunzen. Wie lange er geschlafen hatte, war nicht klar, doch es mußte etliche Zeit vergangen sein – Kawabata, der in der Mitte des Zimmers saß, hatte sich inzwischen umgezogen und rasiert. Er trug jetzt ein weißes Hemd, und die vordem verfilzten Haare waren streng nach hinten gekämmt. Die Töne, die Serdjuk geweckt hatten, kamen von ihm – es war ein schwermütiger Singsang, beinahe wie ein langgezogenes Stöhnen. In den Händen hielt Kawabata ein langes Schwert, das er mit einem weißen Läppchen abrieb. Serdjuk fiel auf, daß Kawabatas Hemd nicht zugeknöpft war, man konnte die unbehaarte Brust und den Bauch sehen.
    Als Kawabata mitbekam, daß Serdjuk wach war, drehte er den Kopf zu ihm und zeigte sein breites Lächeln.
    »Gut geschlafen?« fragte er.
    »Ich hab gar nicht richtig geschlafen«, sagte Serdjuk, »nur mehr so …«
    »Geschlummert«, kam Kawabata zu Hilfe, »na klar. Wir schlummern uns alle so durchs Leben. Und aufwachen tun wir erst ganz zuletzt. Wissen Sie noch, wie wir heute auf dem Rückweg zum Büro den Bach überquerten?«
    »Stimmt«, sagte Serdjuk, »da kommt so ein Rinnsal aus dem Rohr.«
    »Aus dem Rohr? Kann sein. Können Sie sich an die Blasen auf dem Wasser erinnern?«
    »Ja. Richtig große.«
    »In Wirklichkeit«, sagte Kawabata und hob die Schwertklinge in Augenhöhe, um aufmerksam darüberhin zu spähen, »in Wirklichkeit ist die ganze Welt wie Blasen auf dem Wasser. Oder etwa nicht?«
    Serdjuk fand, daß Kawabata recht hatte, und er mochte dem Japaner in diesem Moment gern etwas sagen, was ihn dieses weitgehende Einverständnis, diesen Gleichklang der Gefühle spüren lassen würde.
    »Das ist noch gar nichts«, sagte er und stützte sich auf den Ellbogen. »Die Welt ist wie, na, wie, hach, wie ein Foto von diesen Blasen, das hinter die Kommode gerutscht und von Ratten angefressen worden ist.«
    Kawabata lächelte wieder.
    »Sie sind ein Dichter«, sagte er. »Daran gibt es für mich keinen Zweifel.«
    »Wobei es sein kann«, steigerte sich Serdjuk in seinen Gedanken hinein, »daß die Ratten das Foto schon angefressen haben, als es noch gar nicht entwickelt war.«
    »Vortrefflich«, sagte Kawabata, »ganz exzellent. Aber es gibt eine Poesie der Worte, und es gibt eine Poesie der Tat. Ich wünschte, Ihr allerletztes Gedicht könnte denen, mit denen Sie mich schon den

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